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Sonntag, 6. Januar 2008

Goldschmiede des Gebets

„Der Pharao lässt die goldene Maske fallen“ titelte eine Zeitung, als das Foto der 3000 Jahre alten Mumie des Tutenchamun durch die Medien geisterte: schwarz, verkohlt, leere Augenhöhlen. Das war also der schöne, junge ägyptische Herrscher, dessen Grab im Tal der Könige jährlich hunderttausende Besucher anlockt. Das Aufbrechen seines prachtvollen gold-blauen Sarkophages und seine gnadenlose Zurschaustellung hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Ein Journalist, sichtlich ratlos: „Jeder mag sich selber dazu seine Gedanken machen“.

Fragt sich nur welche. Dass wir Sensationen gerne dort suchen, wo es keine gibt? Dass wir mehr dem Geheimnis des Todes auf der Spur sind als dem Geheimnis des Lebens? Dass wir eine Gesellschaft der perfekten Verpackungen sind?

Würde man uns Menschen aufbrechen, man fände freilich wohl viele, deren Inneres leuchtet: etwa das der treuen Beter. Sie hüten einen unermesslichen Schatz und wirken wie Goldschmiede: indem sie die Perlen des Rosenkranzes fassen, die Litaneien durch geduldiges Memorieren zum Strahlen bringen und in der Anbetung des Allerheiligsten auch ihr eigenes Herz vergolden: „Es wird Menschen geben, die beten, das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten“ sah der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer in ihnen die Zukunft der Kirche.

„Geh zum Pharao“, drängt Gott Mose im Buch Exodus zum Aufbruch aus der Knechtschaft: „Laß mein Volk ziehen, damit sie mich verehren können“. Tutenchamun mag uns daran erinnern, nachzusehen, ob wir uns aus den alten Verstrickungen, die uns wie Mumien festzurren, lösen konnten oder nicht.

Erschienen im Sonntagsblatt, November 2007

MARTINILOBEN UND GANSLESSEN

Zum Ende des Kirchenjahres wird alljährlich der Hl. Bischof Martin von Tours, der sich europaweit einer ungebrochenen Popularität erfreut, ausgiebigst gefeiert.

"Ganslessen“ schreiben zur Zeit wieder viele Wirtsleute mit weißer Kreide auf schwarze Schiefertafeln und locken zu einem Festschmaus, der eine jahrhunderte lange Tradition hat: als letztes großes Essen vor der (früher sechswöchigen) Fastenzeit des Advents.

So heißt es um 1500 in einer Kirchenordnung aus St. Marein bei Knittelfeld: „Ain sandt Merten tag so singt man vesper und ambt, auch ophert man huener dem heyligen sandt Merthen.“ In einer Wirtschaftsrechnung des Domstiftes Seckau scheinen 1586 zu Martini „geselcht Gennss“ auf. Und auch in Graz durfte auf keiner gut bürgerlichen Tafel der Gänsebraten fehlen: am 11. November 1799 wurde hier sogar das Schauspiel „Die Martinsgänse“ auf die Bühne gebracht.

Warum aber gerade am Festtag des Hl. Martin von Tours (316/317 - 397) dermaßen geschlemmt wird, dass man in Frankreich sogar generell zum üppigen Speisen „martiner“ sagt und die anschließenden Magenbeschwerden gerne als St. Martins-Schmerzen („mal de Saint Martin“) in Kauf nimmt, hat aber viele und weit zurückreichende Gründe:

Der Martinstag markierte früher nicht nur den Winterbeginn und das Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres mit Almabtrieb, Erntedank und Martinimarkt, wie er etwa in St. Martin im Sulmtal heute noch begangen wird. Er war auch das erste große Schlachtfest, dem vor allem das sich in der besten Mast befindliche Geflügel zum Opfer fiel. Denn „auf Martini“ war Zinszeit, an dem die Grundherrn ihren Anteil einforderten, und nicht umsonst hieß es: „Sankt Martin ist ein harter Mann, für den, der nicht bezahlen kann“. Ein einschneidender Tag übrigens auch für das Gesinde: er entschied, ob man entlassen oder neu eingestellt wurde. Kein Wunder also, dass bei gutem Abschluß dieser Bauernfesttag entsprechend gefeiert wurde.

So gab es etwa im Ennstal zum Martinsfest nicht nur eine Prozession von Öblarn nach St. Martin am Grimming, sondern auch gehaltvollste Kost, bestehend aus einer Schnapssuppe, Schweinsbraten und Schnapsnudeln: das waren Raunkerln aus Germteig, die in Schnaps und Gewürzen aufgekocht, angezündet und brennend serviert wurden. Es musste also keineswegs immer ein Gansl sein. Aber ein Bauernhof, der früher zu Martini nicht entsprechend aufkochte, wurde „Hungerhof“ gescholten; nicht zuletzt gingen dann auch die „Spießer“, arme Leute, die Holzstäbe durch die Fenster der Bauernhäuser streckten, damit Fleisch und Krapfen draufgespießt wurden, leer aus. Den traditionellen Festgottesdienst feiert St. Martin am Grimming übrigens heute noch und wie anno dazumal ist auch „da Abt von Admont allweil da“, so Diakon Wolfgang Griesebner. Das Schnapsmenü wich freilich längst einem „Ganslessen für’n Chor und die Festgäst’“.

Wie der Aschermittwoch hat die Zeit um Martini einen Schwellenfestcharakter, wobei beim „Martiniloben“ der neue gesegnete Rebensaft nicht fehlen durfte: von „gebrathen Gensen und gueten Wein“ schwärmten Reisende schon 1583 in Steinach. In der Radkersburger Gegend wiederum wurde das „Mirtenmahl alljährlich abwechselnd von den einzelnen Bauern eines Ortes gegeben, die einen Halben Wein beistellen, während sich die übrigen mit Zugaben von Braten und dergleichen beteiligen“, heißt es 1890. Weil Martini auch „Rechttag“ war, musste in Orten wie Preding der Gemeinderichter „eine große Schmauserei“ ausrichten. Und „in Gnas“, entnimmt man einer Aufzeichnung aus dem Steirischen Volkskundemuseum von 1891, „ist es zu Martini Brauch, dass der Pfarrer ein paar Gänse springen lässt“. Davon wisse man heute nichts mehr, meinte die Gnaser Pfarrsekretärin Erika del Negro auf meine Nachfrage hin freundlich. (Eigentlich wurden ja soundso die Pfarrer und Dorfschullehrer von den Bauern beschenkt und nicht umgekehrt.) Was es in Gnas allerdings heute noch gibt, ist das vielerorts beliebte Martinsfest für die Kleinen.

Diese Laternenumzüge der Kinder wurzeln in den liturgischen Lichterprozessionen am Vorabend des Festtages und in den Martinsfeuern, die auf den Feldern und in den Bergen entzunden wurden: in vorchristlicher Zeit, um den Sommer zu verbrennen, später um Licht ins Dunkel zu bringen, wie die guten Taten Martins das Erbarmen Gottes in die Dunkelheit der Gottesferne brachten.

„Bis zu zehn Kindergärten kommen jährlich auch zu uns, um in der Martinskirche zu feiern“, freut sich auch der Direktor von Schloss St. Martin in Graz, Martin Schmiedbauer. Erst heuer war er wieder nach Tour zu seinem Namenspatron gepilgert, der ihm aufgrund seiner Menschlichkeit ein „großer mutmachender Freund“ geworden ist: „Dieser faszinierende Heilige, der vom Osten, d.h. der burgendländisch-ungarischen Grenze, nach Westen gewandert ist, wird als ökumenischer und europäischer Patron von a l l e n Kirchen verehrt!“. Keine Frage, dass der Heilige Martin auch auf St. Martin gebührend gefeiert wird: mit Laternenfest, Sternwanderung und Martinsspiel am 9.11. und einem festlichen Gottesdienst am 11.11. Sie sind zu allem herzlich eingeladen.

Erschienen im Sonntagsblatt, Oktober 2007

Souvenirs, Souvenirs

„Erinnern Sie die Marmelade!“, rief uns unser italienischer Gastgeber freundlich nach, als wir vom Urlaub am Adriastrand aufgebrochen sind. Diese hatte er nämlich selbst zubereitet: mit reifen Früchten, Sorgfalt und Liebe.

Viele Menschen bringen aus dem Sommer Andenken mit, um angenehme Eindrücke präsent zu halten. Souvenirs werden mitunter zwar belächelt, sie sind aber weitaus mehr als eine touristische Erinnerungs-Krücke, betont der Historiker Jörg Seifarth. Ein Souvenir vermag als Zeichen für einen Ort oder eine verstrichene Zeit ein Abwesendes anwesend zu machen. Und nur die Erinnerung hat auch die Macht, die Fragen nach der eigenen Herkunft zu beantworten.

Kein Wunder also, dass Arnold Schwarzenegger das Hausschild „Thal 145“, das ihm seine steirische Heimatgemeinde zum 60er schickte, als eines seiner bedeutungsvollsten Geburtstagsgeschenke bezeichnete. „Souvenirs, Souvenirs, einer großen Zeit“, sang Bill Ramsey 1959, „sind die bunten Träume unsrer Einsamkeit.“

Seinen Ursprung hat das französische Wort „Souvenir“ im lateinischen „sub-venire“ „unter-kommen, in den Sinn, zu Hilfe kommen“. Es wäre schön, wenn wir auf unserer Reise durch die Zeit zu Souvenirs Gottes werden könnten, die die Erinnerung an seine unendliche Liebe und Gastfreundschaft wach halten. Damit Menschen, die hauptsächlich die sichtbare Welt im Blick haben, auch sein unsichtbares Reich kennen lernen. Denn dieses verheißene Land leuchtet oft gerade in der „schönsten Zeit“ des Jahres und in der glücklichen Gelöstheit von Urlaubsgefühlen auf. Es wird aber leider oft nicht als solches erkannt.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2007

Einfach königlich

„Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt“. Mit diesem Zitat von Shakespeare beginnt der neue Film über die Queen, der auf sensationelles Medienecho stößt. Dabei erzählt er im Grunde nichts, was Leser der diversen illustrierten Zeitungen über England nicht schon längst wüssten. Bleibt die Frage, was an diesem Streifen so fasziniert?

Vermutlich ist es die Figur der Königin an sich, die so gar nicht in die heutige Zeit zu passen scheint. Eine ältere Frau, die in stiller Würde die Pflichten des Alltags trägt. Unbeirrbar und unbeeindruckt von den Wogen des Zeitgeistes, die auch über sie hereinbrechen.

Die Queen gehöre einer „edlen Generation“ an, von der es nur noch wenige gäbe, meint die grandiose Hauptdarstellerin Helen Mirren, von Königin Elizabeth beeindruckt. Auch unter uns gibt es viele ältere Menschen, die sich ihre Lebensaufgabe nicht aussuchen konnten, diese jedoch hingebungsvoll erfüllen. Menschen, die sich selbst immer treu blieben und so unverwechselbar und unersetzbar für uns wurden.

Vielleicht haben wir bei manchen dieser Menschen auch das tröstliche Gefühl, sie seien – wie die Queen für das britische Volk – „immer schon da gewesen“. Und vielleicht macht uns der neue Film bewusst, dass es diese Konstanten, diese zutiefst verlässlichen Menschen auch im Auf und Ab unseres Lebens braucht.

Schwer ruht das Haupt, das die Sorge um seine Lieben und seine Mitmenschen drückt. Danke für diese königlichen Menschen, die von Christus nominiert, das heißt beim Namen gerufen sind. Denen er aber nicht den Golden Globe, sondern die Krone des Lebens verheißt.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2007

Dick & Doof

In diesem August sind es 50 Jahre, dass einer der größten Komiker der Filmgeschichte verstarb: Oliver Hardy. Gemeinsam mit Stan Laurel unterhielt er als Slapstick-Duo „Dick und Doof“ weltweit ein Millionenpublikum. Was kaum jemand weiß, ist, dass Oliver Hardy zwar dick, aber keineswegs behäbig war: Er konnte hervorragend tanzen, singen und auch Golf spielen. Stan Laurel wiederum war keineswegs doof, sondern der kluge Regisseur der meisten ihrer Filme.

Das Erfolgsrezept der sympathischen Künstler, nur e i n e n Persönlichkeitszug selbstironisch und formvollendet herauszuarbeiten, wird in unserer Gesellschaft längst unreflektiert auf die Spitze getrieben. Es ist ungemein beliebt, Menschen nach nur einem einzigen, mitunter skurrilen Aspekt zu beurteilen. Nicht zuletzt auch, um stets neue Rangordnungen („rankings“) vornehmen zu können.

So wurde etwa der Papst kürzlich von der Modewelt an die Spitze gewählt. Allerdings nicht, weil er das Oberhaupt der Kirche ist, sondern ob seiner schönen roten Schuhe, die er von Besuchern geschenkt bekommen hatte. Was unterhaltsam anmutet, weil es die Welt auf den Kopf stellt, ist freilich nicht unbedenklich: Nebensächliches läuft dem Wesentlichen zunehmend den Rang ab.

Gottes Ordnung ist jedoch eine ewige und gerechte, die keinen Launen unterliegt. Deshalb sollten auch wir unsere Filter, nach denen wir uns und andere bewerten, immer wieder kontrollieren. Und dem äußeren Schein nicht zu sehr trauen. Denn wie schon die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach feststellte: „Du kannst so rasch sinken, dass du zu fliegen meinst“.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2007

Über Schatten

„Ich freue mich heute noch, dass es mir gelungen ist, den heutigen Tag noch zu erleben“, kalauerte einst Karl Valentin, der am 4. Juni seinen 125. Geburtstag gefeiert hätte.

Mit dem Tod ist aber nicht zu scherzen: „Der Mensch lebt kurze Zeit und flieht wie ein Schatten“, heißt es bei Hiob.

Vielleicht führen wir bisweilen ein Schattendasein und bleiben hinter unseren Möglichkeiten zurück. Selbst äußerlich erfolgreiche Menschen sind davor nicht gefeit, im Gegenteil. Die Gefahr ist groß, sich ständig in den eigenen Leistungen finden zu wollen, sich im eigenen Tun zu spiegeln. Doch diese Doppelsicht spaltet den Menschen: in zwei Schatten, die sich bald gegenseitig bekämpfen. Thomas Merton: „Während der eine Schatten dazu bestimmt war, den anderen zu bestätigen und zu loben, beschuldigt jetzt einer den anderen“: Nie reicht sein Tun aus. Nie ist er gut genug.

Erschöpfung, Nichtigkeitsgefühl, Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit sind die Folge. Eine Seele, die restlos und rastlos im Handeln aufgeht, die dauernd außer sich ist, gleicht „einem Verrückten, der vor seinem Hause schläft, anstatt drinnen zu wohnen, wo es ruhig und warm ist“, beschrieb es Merton.

Wenn wir in der Sonntagslesung hören, dass der Prophet Elija den toten Jüngling in sein eigenes Bett legt, dann bringt er ihn an einen Platz, wo Ruhe möglich ist. Und wenn er sich, zum Herrn flehend, dreimal über ihn ausstreckt, dann gleicht dies dem Überschatten durch die Kraft des Höchsten.

Wenn wir aufhören, uns stets von außen zu sehen und stattdessen bei uns und in Gott daheim bleiben, dann wärmt uns das innere Feuer, anstelle uns auszubrennen. Ja und dann können wir uns wirklich freuen, den heutigen Tag noch so zu erleben.

Erschienen im Sonntagsblatt, Mai 2007

Der Hausverstand

„Gestatten, ich bin Ihr Hausverstand“, erklärt mir ein grosser, dunkelhaariger Mann seit Wochen im Fernsehen und auf Plakaten. Nun, das kann nicht sein. Denn mein Hausverstand ist gefühlsmässig eher klein und mit mir per Du.

Die Werbeidee dahinter ist jedoch beachtenswert: Immerhin investiert hier eine Lebensmittel-Kette einmal mehr ein Millionenbudget, um Konsumenten nicht nur an sich zu binden, sondern sie gezielt anzuregen, „auf ihre innere Stimme“ zu hören. Fragt sich nur manchmal, auf welche.

Denn im Inneren kann es bisweilen ziemlich rumoren – der Verheißungen gibt es bekanntlich viele: „Allem kann ich widerstehen“, beteuerte schon Oscar Wilde, „nur keiner Versuchung“.

Die Fastenzeit nutzen viele Menschen, um neu zu beginnen und sich von alten Lastern und Lasten zu befreien. „Härter sein“, lautet oft die Devise. Manchmal wäre es aber vielleicht zielführender, weicher zu werden, weniger streng mit sich zu sein: Denn der Weg zu Gott ist nicht immer nur ein steiniger. Davon sprechen viele Bilder der Bibel.

Was wäre also, wenn wir die Fastenzeit einmal bewusst leicht begehen, auf weichem Wüstensand, die Sorgen vertrauensvoll auf Gott geworfen, losgelöst vom Alltag und von seinen mächtigen Engeln getragen, die uns behüten, auf allen unseren Wegen?

Derart beflügelt können wir ihn gar nicht verfehlen. Und die inneren Stimmen können beruhigt schweigen, sogar der gesunde, echte Hausverstand.

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2007

Gottes "Augenstern"

„Hellseher überschwemmen die steirischen Haushalte mit Briefen mit falschen Glücksversprechen“, warnt dieser Tage der AK-Konsumentenschutz vor Schwindelfirmen, die Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche ziehen.

Das Geschäft mit der großen Ratlosigkeit, was den eigenen Lebensentwurf betrifft, dürfte ein gutes sein: „Geben Sie mir Ihren Stopp aus dem Bauch heraus“, säuseln nachtaus nachtein die Wahrsagerinnen via Satelliten-TV den oft verzweifelten Anrufern zu, während sie emsig die Karten mischen, um diese dann nebulos auszulegen.

Der Warnungen gibt es seit langem viele: „Die, die ihren eigenen Weg nicht kennen, zeigen anderen die Richtung“, meinte schon Marcus Tullius Cicero (1.Jh.v.Chr.) „Wahrsagung, Zeichendeuterei und Träume sind nichtig. Was du erhoffst, macht das Herz sich vor.“ heisst es im Alten Testament bei Jesus Sirach, und weiter: „Sind sie nicht vom Höchsten zur Warnung gesandt, so schenke ihnen keine Beachtung.“

Abergläubisch könnte man alles deuten, gab der Trappistenmönch Thomas Merton (1915-1968) zu bedenken, doch Gottes Wille ist kein billiges Geheimnis, das so einfach enträtselt werden kann. Weil Gott sich nach uns sehnt, gibt er uns dennoch genug Zeichen, damit wir ihn und die ewige Glückseligkeit finden. Diese Wegweiser können bisweilen unscheinbar sein: Ein Wegweiser etwa nach Rom verrät ja auch noch nichts von der Schönheit und Pracht dieser Stadt. Es lohnt sich aber, ihm zu folgen.

Während Astrologen und Sterndeuter in Horoskopen jeweils zigtausenden Widdern, Krebsen und Wassermännern dasselbe raten, ist das Faszinierende an den Zeichen Gottes nicht zuletzt, dass er jedem Menschen ganz persönliche Hinweise gibt, die nur er für sich entschlüsseln kann und die ihm zutiefst weiterhelfen. So, als wäre er allein auf der Welt und Gottes einzige Sorge, sein einziger „Augenstern“.

Erschienen im Sonntagsblatt, Dezember 2006

VIPS & NIPS - Ein Seitenblick

Ein prickelnd-zischendes Geräusch und schon flimmern sie abends für Sekunden in unser Wohnzimmer: Prominente in teils eleganten Roben, in erlesenem Ambiente, Delikatessen goutierend, ein Glas Sekt in der Hand und natürlich "unter sich." Einfach zu beneiden. Wäre da nicht dieses grelle Licht, dieses mitunter überlaute Lachen, diese krampfhaft gute Laune. Die „Seitenblicke-Gesellschaft“ wurde längst zum Inbegriff von selbstverliebter Oberflächlichkeit.

Was unsereiner daheim auf der Couch leicht übersieht: Viele dieser Menschen üben einen Beruf aus, der der Öffentlichkeit geradezu bedarf, seien es Schauspieler, Sänger oder Musiker. Gesehen zu werden und im Gespräch zu bleiben bedeutet für sie oft die Voraussetzung für neue Rollenengagements und volle Konzerthallen. Ja es sichert ihnen inmitten gnadenloser Konkurrenz nicht selten die Existenz oder auch nur das bloße Überleben.

Man kann davon ausgehen, dass es manchem VIP (very important person – sehr wichtige Person) nicht immer leicht fällt, sich wie eine Ware in den medialen „Promiauslagen“ zu präsentieren und ständig um die Gunst des Publikums, der Regisseure und Veranstalter zu buhlen. Es gilt aber, die Chance zu nutzen, denn: aus dem Fernsehen – aus dem Sinn.

Was in den Adabei-Interviews gesagt wird, mag mitunter wie ein seichtes, oberflächliches Geplänkel anmuten – die Kürze der Sendezeit und der Anspruch, zu unterhalten, erlauben jedoch keine ausführlichen oder tiefschürfenden Gedanken.

„Prominent ist man, wenn einen Leute kennen, die einen nicht kennen“, heisst es. Wie die VIPs im Rampenlicht zu stehen, mag für uns NIPs (not important persons – nicht wichtigen Personen) begehrenswert erscheinen, es hat aber auch einen hohen Preis: wenn nämlich diese „Ersten“ das Letzte geben und dennoch falsch gesehen werden.

Erschienen im Sonntagsblatt, September 2006

Um Himmels willen

Sie kennen sie sicher auch: diese Witze über den Himmel, in denen Menschen, bei Petrus oder Gott angelangt, enttäuscht sind und lieber einen Blick in die Hölle riskieren, um sicherzugehen, dass sie auch ja nichts versäumen. Die Pointe lautet meist: hier der kühle, fade Himmel, dort die aufregend-brodelnde Hölle, in der es üppige Gelage und Feste gibt und immer heiß her geht. Es mag harmlos wirken, aber Unterhaltung sagt viel über das aus, was man letztlich unter Haltung versteht.

Ist der Himmel für uns noch erstrebenswert? Können wir uns tatsächlich ein Leben für immer bei und mit Gott vorstellen? „Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende“, scherzte der Komiker Woody Allen. Was lustig anmutet, ist jedoch sehr ernst. Wie können wir mit jemandem ewig innig zusammensein, wenn wir zu ihm keine tiefe Beziehung aufgebaut haben?

Das Wort „Himmel“ steht oft verhüllend für Gott, den wir in Zeiten der Not ganz gerne anrufen: du lieber Himmel, das möge der Himmel verhüten, das weiß der Himmel, um Himmels willen! Ansonsten kann der Himmel warten, möchte man bisweilen meinen, es geht uns auch so ganz gut.

Wie die Hölle ihren Schrecken verloren hat, hat wohl auch der Himmel an Wert eingebüsst. Vielleicht kommt – während wir die schwarzen, hässlichen Teufelsvorstellungen früherer Zeit als längst überholt belächeln – das Böse heute aber mitunter anders daher: nämlich einschmeichelnd und gefällig.

Nimm’s leicht, lautet die verlockende Devise, genieß das Leben ohne Einschränkungen in vollen Zügen, es ist kurz genug. Es lohnt sich aber, sich um den Himmel zu mühen: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, was Gott denen bereitet, die ihn lieben. Und das nicht nur, wenn wir perfekt sind, sondern auch wenn wir wie Elija unterm Strauch, sozusagen gestrauchelt, völlig am Boden darniederliegen.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2006

Ihr Auftritt, bitte

Künftig könnten auch neue Formen von kirchlichen Segnungen regelmässig "über die Bühne gehen", schrieb dieser Tage eine Grazer Wochenzeitung. Ein gut gemeinter Hinweis, wenn auch in einer verräterischen Sprache: So als wäre die ganze Welt nur Bühne, unser Leben eine einzige Show.

"Wir alle spielen Theater", war der amerikanische Soziologe Erving Goffman überzeugt, "sei es bewusst oder unbewusst". Er verglich unsere Wohnungen und Büros mit teils aufwändig gestalteten Bühnenbildern, vor denen wir tagtäglich als Selbstdarsteller agieren, und deklarierte unsere Möbel, Autos und Kleider als Requisiten für unsere diversen Auftritte. "Je mehr Rollen eine Frau im Leben spielt, desto mehr Schuhe braucht sie", vermerkt dazu eine Modezeitung.

Eigentlich kein schöner Gedanke. Aber er drängte sich ähnlich schon dem amerikanischen Regisseur, Schauspieler und Autor Orson Welles auf (zur Zeit wieder im Gespräch aufgrund des 100. Geburtstages von Anton Karas, dem Zitherspieler im Film "Der dritte Mann", mit dem Welles 1949 auch in Europa berühmt wurde): "Italien besteht aus fünfzig Millionen Schauspielern. Die schlechtesten von ihnen stehen auf der Bühne", ätzte der Filmstar über seine eigenen Berufskollegen.

Nun: Vielleicht haben wir uns und andere tatsächlich mitunter auf Rollen festgelegt oder sind durch unsere Herkunft in ein Schema gepresst worden, das uns nicht gerecht wird, sondern ermüdet und behindert. Selbst von Jesus hieß es, er sei doch nur der Sohn des Zimmermanns, der von nebenan, den man hinlänglich zu kennen glaubte und dem man etwas Höheres nicht zutraute.

Es wäre schade, einfach an äußeren Fassaden und am gewohnten Drehbuch festzuhalten. Viel Gutes unterbleibt, wenn wir durch Vorurteile anderen Menschen den Mut nehmen, sich zu entfalten und sich mit ihren ganz besonderen Begabungen einzubringen.

Erschienen im Sonntagsblatt, Juli 2006

MOZARTS MAMA - Briefe einer besonderen Mutterliebe

Wenn am Muttertag im Grazer Dom ein Festkonzert mit Musik von Wolfgang Amadé Mozart erklingt, dann soll auch jener Frau, die – so wußten es schon ihre Zeitgenossen - einen „so grossen Virtuosen gebohren hat“ gedacht werden.

Denn die „Mozartin“, wie sie sich selbst gerne nannte, sorgte in ihrer Familie neben ihrem gestrengen Mann Leopold stets für eine Atmosphäre der Wärme und Herzlichkeit. Sie war eine überaus schöne Frau, musikalisch und gebildet, mit viel Sinn für Witz und Humor. Dennoch stand sie, die im Lauf von acht Jahren sieben Kinder zur Welt brachte, von denen aber nur zwei überlebten, immer im Schatten ihres Mannes, bestätigt der Musikhistoriker Harald Haslmayr. Sie selbst wird wohl nichts dabei gefunden haben. Die einzigen unmittelbaren Lebenszeugnisse, die uns von Mozarts Mutter bekannt sind, sind jene Briefe, die sie als Begleiterin ihres Sohnes von der Reise nach München, Mannheim und Paris heim nach Salzburg geschrieben hat. Aus ihnen spricht unendlich viel Liebe und Entbehrungsbereitschaft. Denn die Reisen, die irgendwo eine berufliche Anstellung Mozarts mit sich bringen sollten, waren für sie sehr anstrengend und ihrer Gesundheit nicht zuträglich.

„Meine Mama schläft schon halb“, schrieb der 21-jährige Mozart zu Beginn der Reise im September 1777 an seinen Vater. Der Abschied war nicht leicht gefallen: „Nachdem ihr abgereiset“, antwortete Leopold Mozart, der mit seiner Tochter in Salzburg geblieben war, „gieng ich sehr math über die Stiege, und warf mich auf einen Sessl nieder. Die Nannerl weinte ganz erstaunlich und ich mußte mir alle Mühe geben, sie zu trösten...und hiemit endigte sich dieser Tag mit dem Rosenkranz, den ich täglich für euch bethe.“ In vielen folgenden Briefen wird Mozarts Mutter ihren Lieben gute Wünsche heimschicken: „Ich bitte dich nihm deine gesundheit in obacht, und gehe so bald nicht aus, bis dir nicht recht gutt ist, und laß dir kein graues haar wachsen, es wird mit gottes hilf alles recht werden, wie es sein muss... Ich küsse euch also alle beyde vill Million 1000 mahl, lebts recht vergniegt und gesund beysammen, ich bette däglich für euch.“

Von München ging es in 9 Stunden (!) per Mietkutsche weiter nach Augsburg. Zuvor ließ die völlig übermüdete Mutter Mozart wissen: „ich bin mit dem einpacken beschäfftiget, welches mir ville miehe macht, dan ich bin ganz allein darzue, der Wolfgang kann mir nicht in mündisten helfen.“ Manchmal wurde es sogar ihr zuviel: „holle der plunder das Reisen“. Während ihr Sohn seine Aufwartungen machte, blieb sie viel allein, sehnte sich heim nach Salzburg und fror in manch miserablem Quartier so sehr, dass sie „für lauter Kälte den Bauch wehe“ hatte und beim Briefschreiben kaum die Feder halten konnte. Immerhin musste jedes kleine, wärmende Feuer beim Vermieter extra bezahlt werden, und sie versuchte, möglichst zu sparen.

Dennoch hagelte es Vorwürfe von seiten ihres Mannes, weil sie u.a. zuviel Geld brauchten.
„Ich habe mir, seyt ich von Salzburg weck bin, eine einzige hauben machen lassen, kein paar schueh, und ich habe in den würths haus niemahls keinen wein getruncken, ausgenomen der Wolfgang hat da gespeist, da hatten wür einen schoppen miteinander...“ erklärte sie ihrem Mann, und bat ihn, zum Schutz auf ihrer Reise eine heilige Messe auf Maria Plain lesen zu lassen.

Da Vater Leopold schließlich seine ganzen Hoffnungen für Wolfgang auf eine Anstellung in Paris setzte, musste die Mutter mit Wolfgang weiterreisen. Der Sohn hatte dort viel zu tun und zu komponieren. „Was meine lebens arth betrifft“, schrieb hingegen die Mutter, „ist solche gar nicht angenehm: ich size den ganzen tag allein in zimmer wie in arrest, welches darzue noch dunkel ist und in ein kleines höffel geth, das man den ganzen tag die Sohn nicht sehen kan...“ Auch die Kost ließ zu wünschen übrig: Sie reichte von einer „Supen, die ich nicht mag“, über „ein bröckel schlechtes fleisch“, etwas „von einen kalbsfus in einer schmutzigen brühe“ bis hin zu „eine stein harte leber“.

Bald wurden Anna Maria die Beschwerlichkeiten zuviel, sie wurde krank und sollte ihre Heimat nie wieder sehen, denn sie verstarb in Paris überraschend im Alter von 57 Jahren. Am 9. Juli 1778 schrieb Wolfgang Amadé Mozart aus Paris heim nach Salzburg: „Monsieur mon Trés cher Père! (Mein sehr geliebter Herr Papa!) Ich hoffe sie werden bereitet seyn, eine der traurigsten und schmerzhaftesten nachrichten mit standhaftigkeit anzuhören [...] den 3:ten ist meine Mutter abends um 10 Uhr 21 Minuten in gott seelig entschlafen [...] Aus Furcht vor dem Vater hatte Mozart tagelang den Tod der Mutter verschwiegen. Der traurige Vater beteuerte, dass das Leidwesen über den Tod seiner Gattin in der ganzen Stadt Salzburg unbeschreiblich gewesen sei: „deine liebe seel. Mutter war von Kindheit an bekannt und aller Orten geliebt, dann sie war mit allen freundlich und beleidigte keinen Menschen.“ Ja mehr noch, sie war für ihren Sohn, für den sie so viele Entbehrungen auf sich genommen hatte und der heute weltberühmt ist, laut Vater Mozart „deine gute Mutter, dessen Augapfel du warest, und die dich ganz außerordentlich geliebt hat, - die völlig stoltz auf dich war, und die gänzlich in dir gelebt hat.

Erschienen im Sonntagsblatt, Mai 2006

Handschlagsqualität

Jeder von uns gibt sie - und allein bei der Hausbesuchsaktion zum Sonntag wird sie viele Male geschüttelt werden: die Hand. Dieses seit jeher wichtigste "Werkzeug" des Menschen hat eine hochinteressante Bedeutungsgeschichte und gilt seit jeher als Symbol für Macht und Gewalt, Besitz und Schutz. Vieles uns aus Redewendungen Vertrautes war früher Teil der Rechtssprechung.

Wer etwa das Begnadigungsrecht innehatte, konnte über einen Verurteilten die Hand halten und ihn damit vor Strafe schützen. Unser Handschlag ist seit der Antike bekannt. Zusammengefügt durch einen Dritten galt dieser Akt vor dem Aufkommen des Schriftverkehrs als einzige Bezeugung eines Kaufs oder sonstigen Vertrags. Starb im Mittelalter der Partner, dem man die Hand gegeben hatte, wurde diese durch den Tod gelöste Ehe als "gebrochene Hand" bezeichnet. Im Zuge der Gottesurteile dieser Zeit legten Angeklagte ihre Hand ins Feuer: blieb sie unversehrt oder heilte sie rasch, galten sie als unschuldig. "(Rechte) Hand und (linken) Fuß" zu haben, war im Mittelalter wichtig, weil man damit kriegstauglich war: Die rechte Hand führte das Schwert, der linke Fuß wurde zuerst in den Steigbügel gesetzt. Im alten Rom griff man sich beim Händedruck gegenseitig ans Handgelenk, weil sich unter dem Ärmel gewöhnlich der Dolch befand. Offene Handflächen wecken auch heute Vertrauen: Sie zeigten ursprünglich an, dass man unbewaffnet ist.

Körpersprache-Experten sind überzeugt, dass unser Handschlag viel über uns aussagt: Ob wir etwa gerne die Ober-Hand behalten oder mit steif ausgestrecktem Arm unsere persönliche Zone schützen. Im Zugehen auf andere bleibt ein herzliches, liebevolles Händereichen von unschätzbarem Wert.

Erschienen im Sonntagsblatt, März 2006

Liebe fern gesehen: Julias und andere Wege zum Glück

LIEBE FERN GESEHEN - Julias und andere Wege zum Glück

Sie gelten als beliebte Bügelhilfen: Die nachmittäglichen Telenovelas mit ihren Heldinnen Bianca, Tessa und Julia. Nur: Die Geschichte sei immer dieselbe, lautet die Kritik. Armes, blondes, engelsgleiches Mädchen verliebt sich in wohlhabenden Traumprinzen und findet - nach allerlei Hürden - das grosse Glück.

"Wir haben 40 Jahre Emanzipation und versuchten, Frauen ein Selbstbewusstsein zu ermöglichen, das ihnen eine andere Perspektive eröffnet. Und auf einmal fallen die wieder zurück in diese Märchenzeit, diese Aschenputtelgeschichten und Prinzessinenspiele", zeigte sich eine Fernsehredakteurin enttäuscht. Kulturwissenschaftler orten neben der klischeehaften Rollenverteilung "starker Mann, passive Frau" in diesen "neuen Filmen mit alten Werten" sogar einen "Rückfall" in das bürgerliche Geschlechterideal des 18. und 19. Jahrhunderts: "Keuschheit bis zur Hochzeit - früher mag es das gegeben haben, heute findet man es nur noch in Telenovelas".

Da die Erzählung immer abrupt abreißt („Cliffhanger“) und somit den Zuschauer täglich wieder vor den Bildschirm zwingt, baut dieser im Lauf der Serie parasoziale Beziehungen zu den Schauspielern auf: Fremde werden zu Freunden und Vertrauten, mit denen man mitleben, „schön weinen“ kann, ohne dass es einem zu sehr an die eigene Substanz geht. Spezialeffekte wie ein golden glänzendes Licht ("Glow") verstärken den Zauber dieser Sendereihen, für die viele Erklärungen bemüht werden: Sehnsucht nach der heilen Welt und Flucht vor der Realität sowie der sozialen Kälte "da draußen". Jein, meint man dazu beim Deutschen Evangelischen Pressedienst: Für Frauen habe aufgrund vielfacher Benachteiligungen "eine sozial erfolgreiche Heirat de facto nach wie vor große Bedeutung." Die Seifenoper kann aber wohl auch einfach ein erholsames Schaumbad sein, das man sich – zufrieden mit dem eigenen Leben – zwischendurch einmal gönnt.


TELENOVELAS IN LATEINAMERIKA - Spielräume für Träume

Die Telenovelas haben ihren Ursprung im vorrevolutionärem Kuba, wo den Arbeiterinnen in den Zigarren-Manufakturen während ihrer Tätigkeit Romane in Fortsetzungen vorgelesen wurden. 1930 ging in Kuba erstmals eine Radionovela auf Sendung. In Europa erfreuten sich im 19. Jahrhundert Fortsetzungsromane in Zeitschriften (etwa Alexandre Dumas' "Die drei Musketiere" und Charles Dickens "Oliver Twist") großer Beliebtheit. In den 1950er Jahren entdeckte man in Lateinamerika schließlich diese Erzählform für das Fernsehen. Die erfolgreichsten Telenovelas stammen aus Mexico und Brasilien und laufen dort zur besten Sendezeit. Die Seifenopern, von denen es in den USA etwa 30 täglich gibt, sind aus dem amerikanischen Alltag nicht mehr wegzudenken; sie traten längst ihren Siegeszug rund um den Globus an.
Dass nun in Lateinamerika der Geschichte vom armen, aber gutaussehenden Mädchen, das sich in einen reichen Mann verliebt, eine besondere Bedeutung zukommt, läßt sich gut nachvollziehen. Wenn den Familien auch vieles nicht verfügbar ist, die tägliche Sendung ist es und sie bringt Spannung und Bewegung in einen lähmenden Alltag. Für viele gelangt damit auch ein Hauch von Luxus in ihre bittere Armut.


ROSAMUNDES ALLTAGSGRAU

Es ist wohl in vielen Familien ein sonntägliches Ritual: Die Diskussion, ob das Wohnzimmer abends zum "Tatort" oder zum "Himmel über Cornwall" wird: Mord oder Liebe, Krimi oder Rosamunde Pilcher lautet die Frage. Die 82jährige Dame zählt zu den erfolgreichsten Autorinnen der Gegenwart und wurde u.a. für ihre eindrucksvolle Darstellung ihrer Heimat Südengland mit dem Britischen Tourismuspreis ausgezeichnet.
"Nennen Sie es ruhig Kitsch. Das berührt mich nicht", gibt sich die Millionärin Kritikern gegenüber entspannt: "Ich glaube dennoch, dass ich einen guten Stil habe". Ihr Erfolgsgeheimnis ist wohl dieser fein abgestimmte Mix aus meeresbrisefrischem Urlaubsgefühl, Verwirrungen der Herzen und romantischer Liebe, vornehm serviert im gehobenen englischen Milieu. „Leichte Lektüre für intelligente Damen“, nennt sie es selbst. "Alles wird gut", weiß das Publikum, während Intrigen die Idylle trüben und auf atemberaubenden Klippen die großen Lebensentscheidungen getroffen werden müssen. Sie selbst aber kenne "diese Liebesblitze nicht, wenn das Herz flattert und der Verstand aussetzt.", gesteht Rosamunde Pilcher erstaunlich nüchtern. "Ehe ist nicht ewige Liebe und Glück. Ehe ist ein Job – kein Vergnügen. Ehe ist Arbeit: Viel reden, planen, Kompromisse machen." Die Hausfrau und vierfache Mutter, die erst mit 63 Jahren den Durchbruch schaffte, macht auch keinen Hehl daraus, dass das Schreiben schon zu Beginn ihrer Ehe eine Flucht in eine Traumwelt war, die ihre Beziehung letztlich aber rettete. "Frauen müssen aggressiv sein, wenn sie gleichberechtigt und erfolgreich sein wollen", gibt sie sich kämpferisch. Ihr eigener Mann, der Textilunternehmer Graham, sei "immer abgehauen", wenn es eng wurde, zum Golfen oder Moorhuhnschießen: "So sind sie, die Männer". Vor diesem Hintergrund versteht man sie neu, ihre Geschichten, die "Der Preis der Liebe" und "Rückkehr ins Paradies" heissen...

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2006

Der erste Besucher

Während für uns der Heilige Abend und der Christtag die zentralen Tage im Weihnachtsfestkreis sind, gibt es Länder, in denen anderen Tagen grössere Bedeutung zukommt. In Schottland z.B. wurde Weihnachten Jahrhunderte hindurch, bis in die 1950er Jahre, überhaupt nicht gefeiert. Stattdessen gab es das Fest "Hogmanay" (Neujahrsfeier) am 31. Dezember, das in Edinburgh und anderswo auch heute noch mit ausgelassenen Straßenevents, Konzerten, imposanten Fackelzügen und Feuerwerken begangen wird.

Besonderes Augenmerk schenken die Schotten anderntags dem "First footer", dem ersten Besucher, der im neuen Jahr das Haus betritt: Er kommt mit Geschenken wie Kohle, Brot, einer Münze oder Whisky und wünscht alles Gute. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei sein Aussehen: Ist dieser erste Gast klein und dunkelhaarig, bringt er angeblich Glück, ist er groß und blond, verheißt dies Unglück - weil einst die großen, blonden Wikinger immer Krieg ins Land brachten.

Auch Maria bekam Besuch – und sie ließ den Engel nicht in der Tür stehen, sondern bei ihr eintreten. "Es hat sich halt eröffnet das himmlische Tor" und "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit", singen wir zur Weihnachtszeit. Bei dieser Gelegenheit könnten wir einmal nachsehen, wer bei uns einen Fuß in der Tür hat. Vielleicht ist darunter auch so mancher falsche Geist, der Unfrieden und Streit mit sich bringt. Wenn wir jedoch wie Maria Gott ganz hereinlassen, ihm allen Raum geben, muß das Un-Gute weiterziehen.

Erschienen im Sonntagsblatt, Dezember 2005

Land des Lächelns

Wer kennt nicht Franz Lehárs schönste Melodie: „Duft lag in Deinem Haar, wie Blumenhauch und Blütenstrauch“. Zugegeben, mit diesem schwachen Text ist sie bei ihrer Uraufführung 1923 durchgefallen. Erst eine völlige Neubearbeitung der Operette machte aus ihr das unvergleichliche „Dein ist mein ganzes Herz, wo Du nicht bist, kann ich nicht sein“ und aus dem ursprünglichen Mißerfolg „Die gelbe Jacke“ das weltberühmte „Land des Lächelns“.

Man könnte darin Parallelen zur heutigen Gesellschaft erkennen: Da duftet es zunehmend synthetisch, nach Frische und Reinheit und da und dort auch schon nach Weihnachten. Der Griff zu Flakon, Duftkerze oder Blütenpotpourri genügt, und fast hat es den Anschein, als würde auch Religion mitunter wie ein Parfum, dessen Ingredienzien selbst zusammengestellt werden können, Verwendung finden.

Ein seltsames Bild, wenn sich der Mensch, der selbst wieder zu Staub werden wird, bestäubt: mit teils teuren Eau de Toilettes, die „eternity“ (Ewigkeit), „euphoria“ (Euphorie) , „angel“ (Engel), „truth“ (Wahrheit) und „mystery“ (Mysterium) (ver)heissen.

Nichts gegen Wohlgerüche. Traurig wird es jedoch, wenn Düfte Defizite übertünchen müssen, nur mehr Zimt und Nelken ein Gefühl der Geborgenheit aufkommen lassen. Und noch viel bedenklicher, wenn Menschen sich gar nicht (mehr) nach dem ewigen „Land des Lächelns“ dessen sehnen, dem unser ganzes Herz gehören sollte, sondern sich vorstellen können, mit ihrem Tod einmal einfach so irgendwo im Nichts zu verduften.

Erschienen im Sonntagsblatt, November 2005

Meister Proper und der liebe Gott

Seit kürzlich bekannt wurde, dass die Frau des britischen Premierministers Haare und abgeschnittene Fußnägel ihres Mannes Tony einem Guru zum Auspendeln übergeben hatte, muss Cherie Blair viel Spott über sich ergehen lassen. Und während man noch darüber nachdenkt, ob Esoterik langsam aus der Mode kommt, fällt einem auf, dass man zur Zeit innerkirchlich immer öfter mit einem „Ich wünsch Dir viel gute Energie!“ bedacht wird.

Ein gutgemeinter Satz, der allerdings unseren personalen Gott, der für uns ein echtes Gegenüber und DU ist, in einem unpersönlichen, diffusen Kräftefeld auflöst. Eigentlich grotesk: Der Lebendige wird totgeschwiegen und tote Dinge werden verlebendigt: Da zwinkert uns das Putzmittel als „Meister Proper“ zu, lacht uns das Fischstäbchen in der Gestalt des „Käpt’n Iglo“ an und beteuert uns „Ano Nym“, dass es verdammt hart ist, der Beste zu sein. Die virtuellen Figuren erzeugen Vertrauen: Seit etwa ein Mehl nicht mehr irgendeines ist, sondern „Finis Feinstes“, und ein „Gesicht“ bekommen hat, sind die Verkaufszahlen in die Höhe geschnellt.

Um inmitten der zahllosen irrealen Bilder in unseren Köpfen auch das reale Bild Gottes lebendig zu erhalten, gilt es, von ihm zu reden. Der genauen Wortwahl, dem sogenannten „wording“, wird heute in vielen Bereichen große Bedeutung beigemessen. Auf ein zeitgemäßes Christentum übertragen hieße das: Nicht nur an ihren Früchten - auch an ihren Worten, Wünschen und Gesprächen werdet ihr sie erkennen.

Erschienen im Sonntagsblatt, September 2005

Der PIANOMANN

Es war schon still um ihn geworden, diesen Mann, der am 7. April verstört und völlig durchnässt an der englischen Küste aufgegriffen wurde und über dessen Identität weltweit gerätselt wurde. Zulange blieb die Lieblingsfrage der Menschen, „Was gibt es Neues“, unbeantwortet.

Seit am 7. April in Großbritannien ein mysteriöser, verstörter, durchnässter Mann aufgegriffen wurde, der kein Wort sprach, allerdings schon bald nach seiner Einlieferung ins Spital in der dortigen Kapelle stundenlang Klavier spielte, rätselte man weltweit, wer dieser Mensch sei. Selbst Hollywood zeigte bereits Interesse an dem filmreifen Stoff, der an „Shine“, den Film über den Pianisten David Helfgott, erinnerte.

Eine Schicht tiefer stellt sich die Frage, warum er generell auf solch ungeheures Echo stieß? Vielleicht, weil in einer Welt, in der Sich-Outen „in“ ist, jemand, der (fast) nichts von sich preisgibt und (noch) ein Geheimnis besitzt, fasziniert. Der „Piano Man“ schwieg in einer an Storys übersättigten Öffentlichkeit wie ein lebendiges Pausenzeichen im Getöse der unzähligen, oft aufdringlichen Lebensmelodien, wie ein Piano inmitten des allgemeinen Forte.

Hätte er nicht durch seine mysteriöse Erscheinung und den medialen Hype auf sich aufmerksam gemacht, wer weiß, ob er uns nicht ebensowenig gekümmert hätte, wie das Schicksal anderer „Pianomenschen“, etwa jenes von Bootsflüchtlingen, die traumatisiert, durchnässt und verstört an einem anderen Ende Europas aufgegriffen werden...

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2005

Deal or No Deal

Er habe noch nie einen Urlaub gemacht, erklärte ein Bauer kürzlich im ORF und er bedaure es nicht, denn er sei "wunschlos glücklich". Eine Formulierung, die heute Seltenheitswert hat. Vielmehr scheint die Jagd nach dem schnellen Geld überhand zu nehmen. "Glaub ans Glück" lautet die Devise, die Menschen allwöchentlich zur Lottoannahmestelle treibt. Das Spiel selbst geht auf das 15. Jahrhundert zurück: Damals entwickelte ein findiger Italiener aus dem Brauch, in Genua per Losentscheid aus neunzig Kandidaten fünf Ratsherren zu ziehen, das Zahlenlotto „5 aus 90“. Erst nachdem Papst Clemens XII. 1731 das kirchliche Verbot des Glücksspiels aufgehoben hatte, war das Lotto auch in Deutschland gestattet, 1751 führte schließlich Maria Theresia das „Lotto di Genova“ bei uns ein. Das Lottofieber grassiert bis heute. Zudem tauchen verstärkt Gameshows auf, die dem Wunsch nach plötzlichem Reichtum Rechnung tragen: Was bei der „Millionenshow“ noch mit der Abfrage von Wissen verbrämt ist, tritt beim „Money Maker“ blank zutage: Menschen, in grelle Anzüge und eine Art Plexiglasbox gesteckt, raffen im Windkanal vor laufender Kamera möglichst viele Geldscheine zusammen. Rein ums Geld geht es auch bei "Deal or No Deal": Hier schürte unlängst der Moderator durch die wiederholte Frage, was die Kandidatin denn mit dem vielen in Aussicht gestellten Geld machen würde, eine derartige Unzufriedenheit, dass sie sich am Ende der Sendung über einen stattlichen Gewinn von „nur“ tausenden Euro ärgerte. Ob nun ein Geldgewinn tatsächlich ein Gewinn fürs weitere Leben oder mehr eine Bürde ist? Schwer zu sagen: Alles ist möglich.

Erschienen im Sonntagsblatt, Juli 2005

Gottes Serienmänner

Jan Mojto, erfolgreicher Medienmacher und Gast bei „Geist & Gegenwart“, kritisierte den Umgang der Kirche mit den Medien: Sie habe u.a. den Trend, Werte über Unterhaltungsprogramme zu transportieren, bislang verschlafen. Dabei habe „Fernsehen hat größeren Einfluß auf das menschliche Denken, als wir zugeben wollen.“

Tatsächlich wird das Bild der Kirche wohl nicht unerheblich von Sendeformaten wie „Pfarrer Braun“ geprägt, der letzte Woche wieder 767.000 Zuseher österreichweit vor den Bildschirm lockte. Ottfried Fischer löste als schwergewichtiger Pfarrer einmal mehr einen ominösen Mordfall. In den Nebenrollen: ein sportlicher Pastor, eine resolute Pfarrhaushälterin, ein eitler Bischof und dessen mimosenhafter Sekretär. Während Fischer den sturen Eigenbrötler mimt, sind die übrigen Serien-Geistlichen (etwa auch der „Pfarrer“ von Tölz) als knieweiche Gestalten angelegt, die betulich Bibelverse zitieren und sich kindlich-naiv bis feige durch ihr Drehbuchdasein lavieren. In Deutschland, wo über 6 Millionen Menschen den „Pfarrer Braun“ verfolgen, wurde Kardinal Karl Lehmann bereits gefragt, ob die Kirche angesichts dieses Erfolges nicht offensiver eigene Pfarrerserien fördern solle. Er verneinte: Ottfried Fischer sei für ihn als „Leutepfarrer“ geradezu ein „Glücksfall“ und: „Wenn man solche Filme von der Kirche strategisch planen würde, dann würde das schnell schief gehen“. Er hat wohl recht, dennoch sollten wir nicht vergessen, dass Unterhaltung langfristig das mitformt, was wir unter Haltung verstehen.

Geschrieben im Mai 2005

Wenn der Wettergott mitspielt

„Da Winter is außi“, ist auch der „Wetterpauli“ froh. Der beliebte ORF-Mann pflegt persönlich nicht den Kontakt zu einem „Wettergott“, sondern zum Herrgott.

Es ist wohl das beliebteste Gesprächsthema überhaupt, das Wetter. Viel hängt von ihm ab: eine gute Ernte und somit die Existenz, mitunter aber auch „nur“ ein schönes Wochenende oder Erfolg im Leistungssport: „Wir wollen nicht, dass der Windgott die Qualifikation entscheidet“, erklärte Herren-Schitrainer Toni Giger die Abfahrtsaufstellung bei der Schi-WM in Bormio. „Nachdem es der Wettergott momentan nicht so gut mit uns meint: Tanken Sie doch Sonnenkraft in unserem Solarium!“ empfiehlt das Gästeblatt einer steirischen Therme. „Wenn der Wettergott gnädig ist“, meinte schließlich ein niederösterreichischer Pfarrer am Ende eines Firmgottesdienstes, gäbe es nach der Messe noch ein Fest im Freien. (Woraufhin Firmspender Kardinal Schönborn vor dem Schlusssegen noch rasch klärte, dass "der Wettergott niemand anderer als unser lieber Gott ist".)

Woher kommt nun aber diese Vorstellung eines Wettergottes? Sie findet sich in vielen Kulturen: Die Kanaaniter verehrten den Fruchtbarkeits- und Wettergott Baal, die Griechen u.a. Zeus, die Germanen Donar (skand. Thor). Donars Tag (engl. thursday) war ein besonderer (Fest-)Tag, an dem man gerne Hochzeiten feierte, die „Donnerstagskinder“ wiederum galten als besondere Glückskinder. Und man traute dem Wettergott sogar Heilkräfte zu: In Köflach und anderen Gebieten soll es Sitte gewesen sein, sich beim ersten Donner auf dem Boden zu wälzen, um von Kopf-, Kreuz- oder Rückenschmerzen befreit zu werden. (Das Wort „Donner“ leitet sich ebenso von Donar ab wie der Fluch „Donnerwetter“, oder „da schlag (fahr) doch das Donnerwetter drein“.)

Als die irischen Mönche im 7. Jahrhundert im Zuge ihrer Missionierung an heidnischen Kultstätten christliche Kapellen weihten, widmeten sie die Donarheiligtümer bewusst auf St. Petrus um: Der Bewacher des Himmelstores wurde somit auch zum Wetterregenten. „Ja, ich habe mit Petrus gesprochen“, meinte sogar Papst Johannes Paul II. bei seinem Österreichbesuch 1983 angesichts des schönen Wetters in Mariazell augenzwinkernd zu Altbischof Johann Weber.

Unter christlichem Einfluss änderten sich die Vorstellungen: Nun verband man mit dem Donner nicht mehr Donar, sondern die Zornesstimme Gottes. Gerne stellten sich die Menschen beim dumpfen Grollen aber auch Petrus und die Engel beim Kegelscheiben vor. In Polen hieß es, Petrus gehe durch eine enge Halle und seine Schlüssel schlagen dabei an die Wand. Sah man weiße Wölkchen am Himmel wähnte man Petrus beim Schäfchen weiden oder Brot backen. Und zeigte sich das Wetter sehr unregelmäßig, war man überzeugt: Der liebe Gott ist nicht zu Hause, deshalb regiert der Petrus.

„Wenn die Leut‘ bei uns in der Steiermark vom Wettergott reden, meinen sie eigentlich immer den Petrus oder den Herrgott“, bestätigt auch Paul Prattes vom ORF-Landesstudio Steiermark. 1996 erhielt der Offizier (Fliegerbataillon2/Zeltweg) aufgrund seines Wissens über die Wetterkunde die Chance, eine eigene Wettershow zu moderieren und wurde mit seinen selbstgestrickten Sprüchen („Is vorbei die Zeit für’n Jagatee, trinkt da Pauli wieder Eiskaffee...“) unglaublich populär: „Früher haben mich 90 % der Leute gefragt, wie es mir geht und 10 % wie das Wetter wird, heute ist es umgekehrt“ schmunzelt der Publikumsliebling, der die Wetterprognosen von der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) und aus Wien einholt. Und persönlich? Da hält es der „Wetterpauli“ weder mit Petrus noch irgendeinem „Wettergott“, sondern pflegt lieber den direkten Kontakt zu „dem da oben“. Denn Prattes, der sieben Jahre lang in St. Ulrich im Greith als Ministrant tätig war und auch das Sonntagsblatt ausgetragen hat, bezeichnet sich als gläubigen Menschen, dem Gott sehr wichtig ist. Und was wünscht er sich für die Zukunft? „G‘sundheit und dass i dås Wetta imma darråt (errate)!“ Das wünschen wir ihm auch.

Erschienen im Sonntagsblatt, April 2005

Geist ist geil

„Diese geile Messe war echt genial!!!!“, schrieben Babsie und Kathi (16) Sonntagnachts nach dem Jugendgottesdienst in der Wiener Kirche St. Florian ins Internetgästebuch. Die Katholische Jugend Wien hatte eingeladen, 2.500 Jugendliche waren dem Ruf gefolgt und genossen die „super Stimmung“, die „laute Rockmusik“ und die Lichtshows. „Das alltägliche Leben lässt uns leider viel zu oft vergessen, dass man auf den Geist in sich und anderen vertrauen kann!“, ergänzte eine begeisterte Steffi (18) und erklärte, warum niemand mehr gerne in die Kirche geht: „Weil sie langweilig ist!“. Der Jugendgottesdienst stand unter dem Motto „Geist ist geil“. Ein Titel, der nicht nur auf Zustimmung stieß, sondern auch als peinlich und billige Anbiederei kritisiert wurde, weil er doppeldeutig ist und zudem einen umstrittenen Werbeslogan parodierte. Die Veranstalter wiesen derlei Vorwürfe allerdings von sich: Zum einen sei er mit den Jugendlichen abgestimmt und zum anderen bewußt provokant gewählt worden, um zu zeigen, „was das Leben wirklich lebenswert, geil und cool macht“. Der Erfolg scheint ihnen recht zu geben. Ob er auch in der Zukunft hält, was er verspricht, muss sich freilich erst noch zeigen. Der neue Ton in der jungen Kirche läßt aufhorchen: Jakob (fast 18): „Ich war einfach super positiv überrascht, dass die ‚Kirche‘ in Österreich nicht nur aus alten Sandsäcken, die Rosenkränze beten, besteht...“ Aber bei aller Nachsicht für die Jugend: "Man kann keine Heimat haben, wenn man nicht bereit ist auch mit den Nachtwächtern und Spießbürgern [oder „Sandsäcken“] zusammen zu leben", so Karl Rahner.

Geschrieben im Jänner 2005

Ich habe gesündigt

„Gamlitz-der erlaubte Seitensprung“, tönt es zur Zeit aus dem Radio, eine oststeirische Weinkönigin wiederum bewirbt den Traminer mit der Empfehlung: „...und führe er uns in Versuchung“. Wer Werbung aufmerksam hört, nimmt nicht nur bei der Weinpromotion einen verstärkten Trend wahr: das Spiel mit Wertvorstellungen und konkret auch mit christlichen Botschaften.

Eine grundsätzliche Nähe gibt es schon lange, immerhin werden die selben Sehnsüchte des Menschen angesprochen: „Liebe ist ein Trend, der nie abreißt“, lautet nicht etwa eine Neuversion des Korintherbriefes (13,8), sondern die Erklärung des Werbeprofis Oliver Voss für viele neue Werbekampagnen: von „I’m loving it“ (McDonalds) über „Is it love?“ (Mini-Cooper) bis hin zu „Alles aus Liebe“ (Bipa).

Die heile Werbewelt wird jedoch zunehmend langweiliger, sind die Werbegurus Holger Jung und Jean-Remy von Matt überzeugt: „Nur wer vom idealen Menschen abweicht, kann Menschen begeistern. Wer überholen will, muss auf die Kampflinie ausweichen, die schmutziger und riskanter ist“. Ihr Werbeslogan „Geiz ist geil“ gehört zu den erfolgreichsten und vielzitiertesten überhaupt. Und Sünden sind zur Zeit in: sei es der Neid („Und was sagt Ihr Nachbar?“) oder die Habsucht („Nimm alles!“). In netten Werbespots wird gelogen (er sagt zu ihr, er stecke im Stau, sitzt aber mit Freunden bei einem Bier im Lokal), betrogen (zwei Partner gehen fremd und entdecken ein Pflaster an der Schulter des anderen) und gestohlen (ein Fußballer „spart“ die Münze des Schiedsrichters „für später“ auf).

Lifestyle-Magazine sind von diesem Trend nicht ausgenommen: „Heute schon gesündigt?“ fragt z.B. eine Frauenzeitschrift ihre Leserinnen und ermutigt zu Rache, Neid und Seitensprung. Denn: „Immer nur tun, was erlaubt ist – wie langweilig!“ Lieber lustvolle Regelbrüche, denn diese „kleinen Adrenalinstöße sind die Schaumkronen auf dem Alltagseinerlei“. Aus christlicher Sicht sind hier durchaus auch Abschaumkronen dabei.

Nicht von ungefähr gibt es parallel dazu ein zunehmend großes Bedürfnis nach Frische, Reinheit und Ursprünglichkeit: da schmeckt ein Joghurt plötzlich „wie der junge Tag“ und werden banale Raumsprays zu „Düften, die ihr Leben verändern“. Die Motivforscherin Helene Karmasin erkennt in diesem Phänomen die Idee des Sakralen wieder. Nunmehr als die „Idee der unberührten, reinen, sakralen Natur, die frei ist von jedem industriellen Eingriff und die deshalb einen ganz besonderen, wertvollen, geheiligten Bezirk darstellt, aus dem besondere Objekte kommen“: etwa Wein, Bier, Mineralwasser und Fruchtsaft.

Unsere Botschaften werden gerne als Spielball aufgegriffen: Auf einem Transparent, das an einer Wiener Kirche angebracht und aufgrund des starken Verkehrsaufkommens immer rasch grau verschmutzt war, steht zu lesen: „Es gibt einen, der dich liebt – Jesus Christus“. Voriges Jahr wurde in unmittelbarer Nähe ein riesiges, blütenweißes Transparent ausgespannt: „Es gibt noch einen, der dich liebt – T-Mobile“. Es musste aber auf Drängen der Kirche schon bald wieder beseitigt werden.

Viele Werbekonzepte zielen bewusst auf die Lust am Dekodieren und Wiedererkennen: „Die Ersten werden die Ersten sein“ (Ford), „Die Stärke sei mit Dir“ (Fisherman’s friends), „Ich habe gesund-igt“ (Nutrel/Nestle). Parodien dieser Art finden sich aber auch anderswo; in einem Lied von Roland Neuwirth heißt es: „O Herr, mach mich nicht schwach, dass ich nicht eingeh‘ unter dem Dach.“

Freilich funktioniert dies nur vor dem Hintergrund eines biblischen bzw. katholischen Restwissens.
Denn zahlreiche Parodien haben heute keinen Witz mehr, meint auch der alte Kabarettist Gerhard Bronner, da viele Menschen entweder das Original nicht mehr erkennen oder es ihnen heilig ist („Über den Elvis macht man keinen blöden Witze“).

Wie heilig, ist an der Einladung des Grazer Schauspielhauses zu einer Hommage an Elvis Presley („A date with Elvis“) vom 2. Juli 2004 abzulesen.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2004

DIE ERSTEN WERDEN DIE ERSTEN SEIN - Verheißungen unserer Zeit

Die kürzlich erfolgte Verleihung des steirischen Werbepreises „Green Panther“ stand ganz unter dem Motto „Die Kunst der Verführung“. Und spätestens anhand der Zeitungsbeilage wurde klar: Die einst „geheimen Verführer“ treten immer offensiver an die Öffentlichkeit und bekennen sich stolz zu ihrer Profession: „Viele Steirer sind wirklich dankbar, dass es Werbung gibt, nimmt sie uns doch auf ganz unterschiedlichen Ebenen Entscheidungen ab. Verführt uns eben. So ist das wirkliche Leben“, heißt es da. Dass Ver-Führung ursprünglich „an einen falschen Ort bringen“, später „sittlich fehlleiten, irreführen“ bedeutete, scheint vergessen. Ja man preist die Werbung geradezu als „neue Religion für Markenbewußte“. Nimmt man nun die „rosaroten Worte“ der Werber genauer ins Visier, ergeben sich tatsächlich einige Parallelen.

„Liebe ist ein Trend, der nie abreißt“, lautet nicht eine Neuversion des Korintherbriefes (13,8), sondern die Erklärung des Hamburger Werbeprofis Oliver Voss für ein Phänomen, das viele Werbekampagnen prägt: von McDonalds („I’m loving it“) über den Mini-Cooper („Is it love?“) bis zu Bipa („Alles aus Liebe“). Selbst Katzenfutter wird wie ein Liebesmahl kredenzt. Denn bislang galt: Gute Werbung ist mit positiven Emotionen aufgeladen. Wenngleich auch diese heile Werbewelt zunehmend langweiliger wird. Ein nett gemachter, pfiffiger Spot genüge heute nicht mehr, die Dosis liege höher, sind die Werbeprofis Jung & Matt überzeugt: „Nur wer vom idealen Menschen abweicht, kann Menschen begeistern. Wer überholen will, muss auf die Kampflinie ausweichen, die schmutziger und riskanter ist. Und sie bewiesen ihre These mit dem vielzitierten Werbeslogan: „Geiz ist geil“. Sünden sind geradezu „in“: sei es der Neid („Und was sagt Ihr Nachbar?“) oder die Habsucht („Nimm alles!“).

„Heute schon gesündigt?“ fragte auch die Frauenzeitschrift „freundin“ ihre Leserinnen und ermutigte zur Rache, zur Notlüge, zum Seitensprung. Denn: „Immer nur tun, was erlaubt ist – wie langweilig!“ Auch in den Werbespots tauchen sie bereits auf: die Lügner (er sagt, er sei auf dem Heimweg, sitzt aber im Bierlokal) und Betrüger (zwei fremdgehende Partner verdecken mit einem Pflaster die Kratzwunde vom Liebesspiel beim Seitensprung). Eigentlich nette Geschichten, vor allem mit so unverschämt sympathischen Menschen. Man lächelt dazu. Sind doch die Folgen dieser permanenten Innenweltverschmutzung, die die Seele allmählich zumülltund verklebt, nicht unmittelbar spürbar. Freilich gibt es nicht von ungefähr dieses zunehmende Bedürfnis nach Frische, Reinheit und Ursprünglichkeit - wenn dieses jedoch wieder nur auf der Produktebene gestillt wird („Düfte, die ihr Leben verändern“ - Airwick) gibt es aus dem Teufelskreis kein Entrinnen.

So kann man getrost weiter mit „unseren Botschaften“ kokettieren, sie ad absurdum führen: „Die Ersten werden die Ersten sein“ (Ford), „Die Stärke sei mit Dir“ (Fisherman’s friends)... Eine steirische Weinkönigin schließlich bewirbt den neuen Traminer mit: „...und führe er uns in Versuchung...“.

Freilich funktioniert dies nur vor dem Hintergrund eines biblischen Restwissens. Der Kabarettist Gerhard Bronner meint, dass Parodien heute meist keinen Witz mehr hätten, da viele Menschen entweder das Original (z.B. eine Oper) nicht mehr erkennen oder es ihnen heilig ist („Über den Elvis macht man keinen blöden Witze“). Christliche Inhalte kennt man bruchstückartig noch, aber sie verkommen nicht selten zum Gag. Und die Konkurrenz läßt uns mitunter alt aussehen: Auf einem Transparent, das eine Wiener Kirche „zierte“ und im Laufe der Jahre völlig verschmutzte, stand zu lesen: „Es gibt einen, der dich liebt – Jesus Christus“. Voriges Jahr wurde in unmittelbarer Nähe ein riesiges, blütenweißes Transparent ausgespannt: „Es gibt noch einen, der dich liebt – T-Mobile“. Können wir uns dagegen wehren? Als Konsumenten sehr wohl. Zugleich sollten wir die Situation zum Anlaß nehmen, unseren eigenen Umgang mit der Botschaft Jesu nach innen wie nach außen hin neu zu überdenken.

Erschienen im Sonntagsblatt, Juni 2004

Zur zunehmenden Sakralisierung des Alltags

„Wir sind ein Genusstempel, keine Kirche“, betonte kürzlich der Chef eines Restaurants im Zuge der Rauchverbotsdebatte.

Interessant. Nicht zuletzt, weil hier einmal mehr zum Ausdruck kommt, wie sehr heute banale Dinge des Alltags (hier das Essen in einem Gasthaus) überhöht und mit ungeheurer Bedeutung aufgeladen werden. Dieser Trend spiegelt sich in der gesamten Konsumwelt wider: „Die Gestaltung von Kaufhäusern entspricht dem Prinzip von grossen Wallfahrtskirchen mit kleinen, eingebauten Verkaufsständen“, ist die Grazer Kunsthistorikerin Wiltraud Resch überzeugt. Und diese zunehmende Sakralisierung zeigt sich nicht nur in der Monumentalität von Bauten, die früher den Kirchen vorbehalten war. Auch neue Auslagenkonzepte kommen zum Tragen: Die Kosmetikbranche etwa spielt fast nur mit liturgischen Farben und setzt bevorzugt das Kardinalsrot ein. In Verbindung mit dem vielen Glas der Fassaden und Inneneinrichtungen soll dies Kostbarkeit ausdrücken. Doch damit nicht genug: Ein banaler Schuh wird in einer Glasvitrine präsentiert wie in einer Monstranz, eine einzelne Handtasche aufbewahrt wie in einem Tabernakel. Auch die Portale zu den Einkaufstempeln und – paradiesen werden immer ausladender. Die Türen öffnen sich meist automatisch, d.h. die Schwelle, die bei den Kirchen das Profane vom Heiligen trennt, fällt hier meist weg. Besonders exklusive und teure Geschäfte setzen diese Schwelle jedoch bewusst wieder ein, stellt Christian Mikunda in seinem Buch „Der verbotene Ort oder Die inszenierte Verführung““ fest. Und er vergleicht die Glasvitrinen mit Schmuckstücken beim Juwelier nicht zufällig mit den Reliquienschreinen früherer Jahrhunderte.

Da sich der heftig umworbene Kunde den unzähligen Werbebotschaften, die auf ihn einprasseln, immer mehr verschließt, versucht die Werbung verstärkt, „die Ebene des Religiösen zu erreichen und gewisse Empfindungen zum Schwingen zu bringen“, so Wiltraud Resch. Verführerische Slogans versprechen mit dem Kauf eines Produkts u.a. Wohlbefinden und eine Erhöhung der Persönlichkeit. Oder wie es William Feather formulierte: „Hinter der Werbung steht vielfach die Überlegung, dass jeder Mensch eigentlich zwei sind: einer, der er ist, und einer der er sein will“.

Was früher dem Sakralen vorbehalten war: den Menschen mehr Selbstbewusstsein und Würde zu geben, das Schöne, die Ästhetik, ein Hauch von Luxus und Besonderheit, Exklusivität und Abgeschlossenheit, die Musik, die besonderen Gerüche, – all das übernimmt die Werbung in vollen Zügen. Viele Bereiche setzen auf sakrale, aber auch auf magische Momente: Betrachten Sie nur einmal bewusst die beliebte „Millionenshow“: Armin Assingers Erscheinen in gleißendem Licht, das Symbol der Sendung selbst, die Studiogestaltung, das himmlisch glänzende Blau-Silber, das aufleuchtende Morgenrot, der erhöht thronende Moderator, die grellen Lichtblitze...

Während nun das Profane immer sakraler wird, wird das Sakrale zusehends profaniert, stellen Kultursoziologen fest. (Das Wort profan kommt vom lateinischen „profanus“ und bedeutete ursprünglich nicht geheiligt, nicht eingeweiht, „vor dem heiligen Bezirk liegend“). Auch der Theologe Thomas Meurer von der Universität Münster ist besorgt: „Viele Kirchen in Europa – vor allem in den Großstädten – geraten heute in Gefahr, nur noch ihre sakrale Würde zu behalten, ihre sakrale Wirkung aber mehr und mehr zu verlieren. Denn das Bewusstsein für sakrale Räume schwindet umso mehr, je massiver der gesamte Alltag zum sakralen Bereich erklärt wird. Wenn aber alles sakral ist, dann ist letztlich nichts mehr sakral.“ Hinzu kommt - so Resch – dass in den Kirchen seit den 60er Jahren, die Mehrzweckhallen ohne Turm mit sich brachten, bisweilen eine gegenteilige Philosophie vorherrscht: Es soll hier alltäglich sein, der Mensch muss im Alltag angesprochen sein. Hier gälte es, das Einzigartige eines Gotteshauses wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken, denn „wir haben das Sakrale des Kirchenraums heute nötiger denn je.“

Erschienen im Sonntagsblatt, April 2004

Durch die Blume gesagt - zur Symbolik der Pflanzen

DURCH DIE BLUME GESAGT - zur Symbolik der Pflanzen

„Laßt Blumen sprechen!“ hört man oft. „Ja, aber wie?“, fragt man sich. „Rote Rosen bedeuten Liebe, ...“ selbst die Meisterfloristin, die ich um Rat frage, gerät ins Stocken. „Leider“, stellt sie bedauernd fest, „so richtig kennt sich heute niemand mehr aus“. Man sei, was die Blumensprache betrifft, vorsichtig geworden, gesteht mir die Blumenverkäuferin im nächsten Geschäft. Denn es gäbe oft Verständigungsprobleme. Vor kurzem erst wies eine Kundin den ihr angebotenen Efeu, der bei Hochzeiten als Symbol der Treue immer noch sehr beliebt ist, brüsk zurück: „Efeu ist tot und gehört auf den Friedhof!“

Schade, dass die Kommunikation via Blüten (s.u.) großteils in Vergessenheit geraten ist. Die Pflanzensymbolik spielte immerhin auch in der christlichen Kunst eine bedeutende Rolle. Viele Blumen und Heilkräuter (Ringelblume, Arnika, Gänseblümchen) wurden etwa mit Maria in Verbindung gebracht: allen voran die Rose (Königin der Blumen) und die weiße Lilie (Reinheit). Die rote Nelke mit ihren Blättern in Nagelform verwies wie die rasch welkende Anemone auf die Passion Christi. Das Alpenveilchen wiederum symbolisierte mit seiner inneren Rotfärbung das schmerzerfüllte, blutende Herz Marias. Und die Narzisse galt im Mittelalter als Paradiesblume, aber auch als Zeichen für die Auferstehung. Vieles gäbe es noch anzuführen - vielleicht ist der herannahende Frühling ja ein Ansporn, sich zu vergewissern, was einem da so blüht...


VERBLÜMT UND UNVERBLÜMT - Geheime Botschaften des Herzens

Im 19. Jahrhundert konnten sich Liebende nicht so ungezwungen treffen wie heute. Aber man verstand es, diskret beredte Blumensträuße zu übermitteln. Zur Entzifferung der Botschaften dienten kleine Wörterbücher. Auf Fragen wie „Darf ich heute zu Dir kommen?“ (kleine Rosenblüte), konnte man mit Majoran oder einem Rosenblatt (Ja!) oder mit einem Rosendorn bzw. -stengel (Nein!) antworten. Man schickte Liebesbeteuerungen (Rosmarin:Treue Liebe bis an das Grab, Gänseblümchen: Von Herzen liebe ich dich!), Bitten (Lavendel: Entscheide über mein Glück, Flieder: Laß mich nicht warten) und Grüsse (Löwenzahn: Wünsch‘ guten Morgen!). Es hagelte mitunter aber auch Vorwürfe (Königskerze: Weshalb ärgerst du mich?; Lungenkraut: Du warst nicht da!; Narzisse: Warum so grausam?). Und liebevoller Spott (Kümmel: Wie schön im Zorn!) konnte schon einmal Zurückweisung provozieren (Eichenlaub: Ich bleibe ledig). Um im Winter nicht „sprachlos“ zu sein, arrangierte man Papierblumen. Da nun die Blumenwörterbücher keine ‚Einheitsübersetzung‘ boten, waren Mißverständnisse nicht immer auszuschliessen. Da blieb manchem nur noch der Griff zum Kürbis (Du verstehst mich nicht!).

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2004

„Wo die Liebe sich freut, wird ein Fest gefeiert.“

Wenn zwei Menschen sich ineinander verlieben, die Liebe nicht verfliegt, sondern bleibt und sich vertieft, dann können sie ihr Leben darauf bauen. Die Liebe kann man nicht machen, nicht erzwingen. Liebe ist Zuwendung, nicht Besitzergreifen. Sie ist gnadenhaftes, unverdientes und auch uneigennütziges Geschenk (vgl. 1 Kor 13). In dieser Liebe leuchtet Gottes Liebe und Nähe auf. Das alttestamentliche Hohelied spricht vom Sich-Verbinden und Verlieren, vom Suchen und Finden, und von der Freude, die Mann und Frau aneinander haben. Schon früh wurde in diesen Liebesgedichten auch ein Bild der Liebe Gottes zu seinem Volk gesehen. Das Hohelied zeigt uns, daß Liebe nicht sprachlos bleibt, sondern sich (auch in einer Sinnlichkeit) ausdrücken will. Sie sucht ihre Wege im Alltag und in besonderen Zeiten. Wenn zwei Menschen „sich finden“, ist darin nicht nur Gott am Werk, der für den Menschen das Gute will, sondern gibt Gott den Menschen den Auftrag, für diese Liebe zu sorgen, ihr Raum und Zeit zu geben, die sie braucht: auch Kraft, Treue und Geduld. Sie ist Grosses und Kleines, Schweres und Hohes, Außergewöhnliches und Alltägliches. Diese Liebe will nicht Schein, sondern Wirklichkeit. Teil dieser Wirklichkeit kann auch das Scheitern der Liebe sein: trotz allem Bemühen über längere Zeit und auch die Inanspruchnahme von Hilfe durch Dritte. „Wo Liebe sich freut, da wird ein Fest.“ Der Dank für die Liebe und für den geliebten Menschen, der mich spüren lässt, wie angenommen (von Gott) ich bin, die Bitte um ein redliches Bemühen und ein gutes Gelingen werden so zu wichtigen Wegbegleitern in der (ehelichen) Partnerschaft.

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2004

Erbitterter Kampf in süßer Mission

Ein Blick in die Geschichte der Schokolade

In der dunklen Jahreszeit steigt der Verbrauch einer Köstlichkeit, die gegen Stimmungstiefs hilft: die Schokolade. Indem sie die Produktion des Glücksbringers Serotonin im Gehirn anregt, löst sie Gefühle aus, die einer Verliebtheit ähneln. (Kein Wunder, dass französische Doktoren im 18. Jahrhundert Schokolade als Heilmittel u.a. gegen gebrochene Herzen verordneten.)

Christoph Kolumbus verspürte davon allerdings noch wenig, als er 1502 vor der Küste von Honduras die Kakaobohne entdeckte. Denn der heilige Trank „Xocoatl“, den ihm die Azteken reichten, schmeckte ihm nicht so besonders, enthielt er neben Kakao und Mais doch nur ein paar Chilischoten und etwas Anis. Aber er nahm einige dieser „seltsamen Mandeln“ als Kuriosum mit nach Hause. Vom spanischen Hof aus trat die Trinkschokolade – verfeinert mit altweltlichen Gewürzen wie Zimt und Moschus - Anfang des 17. Jahrhunderts ihren Siegeszug in Europa an. Vielerorts eröffnete man Schokoladestuben und der Kakao wurde zum beliebtesten Modegetränk. Auch in den Klöstern genoss man ihn: mit viel Vanille, Zucker oder Sahne und nach dem Aderlass auch mit einem Schuss Branntwein. Der berühmte französische Gourmet Brillat-Savarin gestand, dass er das Geheimnis für sein bestes Kakaorezept einer Äbtissin verdanke...

Schokolade zur Fastenzeit?

Allerdings entbrannte schon bald ein heftiger Streit über die Frage, ob Schokolade auch während der Fastenzeit erlaubt sei. Die Jesuiten erklärten sie zum Getränk und gestatteten sie; die Dominikaner hingegen erteilten ein Verbot: Ihrer Meinung nach war die Schokolade viel zu nahrhaft, um nicht als Speise zu gelten. Wiederholt wurden Päpste mit diesem Streit belangt: Sie entschieden alle stets zugunsten der Schokolade.

(Ärger gab es übrigens auch in Mittelamerika, wo sich die eingewanderten Spanierinnen ihren heißgeliebten Kakao sogar in der Kirche kredenzen ließen. Ein Verbot durch den Bischof musste allerdings zurückgenommen werden, da die selbstbewussten Damen einfach nicht mehr ins Gotteshaus kamen... )

200 Jahre lang blieben Kakao und Schokolade ein teurer Luxusartikel für den Adel und die Elite. Erst im 19. Jahrhundert, als neue Verfahren eine billigere Produktion ermöglichten, gelangte auch die breite Bevölkerung in diesen Genuss. 1847 kam in England die erste Essschokolade auf den Markt, 1875 wurde in der Schweiz die Milchschokolade erfunden.

Heute stehen wir einer unüberschaubaren Fülle an Sorten gegenüber. Bio- und Sojaprodukte machen deutlich, dass Schokolade auch ein Stück Weltanschauung sein kann. Fair Trade-Schokoladen schliesslich garantieren mit ihrem gerechten Preis für den Rohkakao nicht nur ein Glücksgefühl im eigenen Körper, sondern auch bei den Menschen, die hart für die Kakaogewinnung arbeiten müssen.

Erschienen im Sonntagsblatt, Dezember 2003

SPACE SHUTTLE NETREBKO

Man katapulierte sie mit höchstem Erwartungsdruck in den Salzburger Festspiel-Himmel, beschädigte vorab durch gezielte Häme ein wenig ihren persönlichen Schutzschild und wartete gespannt, ob sie mit dem Wiedereintritt in die Atmosphäre der „Normalsterblichen“ nicht doch verglüht und vorzeitig verheizt wird. Aber sie ist bravourös gelandet: Anna Netrebko. Der Starrummel um die neue „Diva“ („die Göttliche“) ruft längst Kritiker auf den Plan und so mancher wünscht sich wohl, dass die junge Russin nicht nur für einen Werbespot baden geht. Warum diese Miss-Gunst? Ist jemand, der schön und hochbegabt ist, im Rampenlicht steht und womöglich auch noch wohlhabend wird, zuviel des Erträglichen? Ein Blick in die Lebenspartitur der Sängerin zeigt nicht nur Sonnenseiten: Selbstzweifel, Einsamkeit und Heimweh begleiteten sie auf dem Weg nach oben.

„Liebling des Publikums! Ist einer darum zu beneiden, wenn er es geworden ist?“, fragte schon Theodor Herzl 1901: „Es gehört enorm viel Glück dazu, es zu werden; noch viel, abenteuerlich viel mehr, es zu bleiben.“ Im feudalen Wien der Jahrhundertwende, im dem der Neid ebenso schnell wuchs, wie Ringstraßenbauten und Prachtpalais aus dem Boden schossen, gönnte man auch dem Künstler außer dem Applaus, der ohnedies sein Brot ist, möglichst wenig: „Was – den Ruhm, und dazu noch getrüffelte Kapaunen [Masthähne] und eine Equipage [elegante Kutsche] und ein vierstöckiges Haus? Das wäre zuviel für ein Talent.“ Mehr noch kam Herzl zu einem Schluss, der bis heute nicht an Gültigkeit verloren hat: „Die Unbekannten haben es ganz gern, wenn es den Bekannten nicht allzu gut geht.“

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2005

Weise Seiten?

Teresa hätte sich wohl gefreut: Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist die Region Katalonien Ehrengast. Ihre Heimatstadt Avila liegt zwar im benachbarten Kastilien, sie liebte jedoch das Lesen, wie wir aus ihrer Autobiographie „Libro de la vida“ („Das Buch meines Lebens“) wissen.

Denn Teresa, eine der größten Mystikerinnen, tat sich beim Beten schwer – zu gern ließ sie sich ablenken und „lauschte oft mehr dem Schlagen der Uhr“, um das Ende der Gebetszeit abschätzen zu können. Ein geistliches Buch half ihr schließlich wie ein Schutzschild, ihr Inneres abzuschirmen und sich ganz auf Gott zu konzentrieren; lange wagte sie es nicht, „ohne ein gutes Buch mit dem Beten zu beginnen“.

In ihrer Jugendzeit freilich hatte Teresa am liebsten romantische Ritterromane verschlungen. Weil diese jedoch ihre Eitelkeit nährten, richteten sie eher Schaden an, was sie im Rückblick bedauerte.

Unter den Texten, die wir tagtäglich freiwillig und unfreiwillig lesen, sind wahrscheinlich auch welche, die nicht nur zu unserem Wohl beitragen: Um unsere Gunst rittern viele, die uns Romane von einem besseren Leben erzählen und mit hochtrabenden Versprechungen falsche Sehnsüchte wecken. Sie ziehen uns hinunter, während beim Lesen eines guten Buches „die Seele emporwächst“, so Voltaire.

Deshalb ist es gut, sich mit geistreichen Büchern zu umgeben: als Vor-Rat, um Rat zur Hand zu haben, noch bevor wir ihn brauchen. Denn so wie Klosterbibliotheken früher als „Apotheken der Seele“ galten, enthalten gute Bücher „Vitamine fürs Leben“ und „stärken die Abwehrkräfte“. Buchstäblich seitenweise.

Erschienen im Sonntagsblatt, Oktober 2007

Zum Annatag: Ein Namensfest mit großer Tradition

„Endlich einmal eine Hl. Anna, die nicht verhärmt ausschaut“, freute sich kürzlich Anna Sallinger, Exerzitienreferentin unserer Diözese, als sie in der Kirche von Hirschegg das schöne Gemälde der Heiligen entdeckte.

Freilich bleibt Anna auch bei dieser sogenannten „selbdritt“-Darstellung mit ihrer Tochter Maria und ihrem Enkel Jesu im Hintergrund. Sie gibt dem Heiligen Raum und sorgt – wie viele Großmütter – dafür, dass der Glaube auch an die nächste Generation weitergegeben wird. Die heilige Anna zählt zu den volkstümlichsten Heiligen der Kirche und wurde vielfach zur Patronin: etwa für Bruderschaften und Bergleute, für den Krankendienst und Spitäler, für Kinder- und Altenheime.

Annenverehrung
Die früheste Darstellung der Hl. Anna aus der Zeit um 400 n. Chr. findet sich in der Kirche S. Maria Maggiore in Rom. Bereits um 550 wurde ihr zu Ehren in Konstantinopel eine Kirche erbaut, viele weitere sind gefolgt, auch bei uns in der Steiermark: „Groß war die Freude der Bewohner“, heißt es, als im April 1717 in St. Anna am Aigen anstelle der von den Türken zerstörten Anna-Kapelle die neue und prächtige Annakirche von Josef I. Dominikus, Fürstbischof von Seckau, eingeweiht wurde: „Die guten Leute zerfloßen in Tränen, als sie zum ersten Male einen Bischof in ihrer Mitte erscheinen, den Annaberg besteigen und nach der Einweihung des neuen Gotteshauses das heilige Messopfer in demselben darbringen sahen“, liest man in einer Gedenkschrift. Die Annenverehrung war von den Kapuzinern, Karmeliten, Benediktinern und Augustiner Chorherren sehr gefördert worden und erreichte im 15. und 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Schließlich wurde ihr Gedenktag als Fest für die ganze Kirche vorgeschrieben.

Annenfeste
Das ließen sich die Menschen wohl nicht zweimal sagen: Die Annenfeste wurden bald zu den größten Volksfesten und von zigtausenden Menschen, darunter wohl vielen Annas, besucht: Denn der Name Anna (hebräisch Hanna, „die Begnadete“) war schon seit dem 12. Jahrhundert ein häufiger Taufname, im einfachen Volk wie auch in königlichen und adeligen Familien, und zählte neben Maria über Jahrhunderte zu den beliebtesten weiblichen Vornamen.

In Wien gab es am 26. Juli, der bis Ende des 18. Jahrhunderts offizieller Feiertag war, sensationelle Feuerwerke, Schönheitskonkurrenzen für Mädchen und Frauen, Theateraufführungen und Bälle. Getanzt wurde im so genannten „Annentempel“ zu eigens komponierten Werken von Johann Strauß Vater, Joseph Lanner und Johann Strauß Sohn, z.B. zur berühmten „Annen-Polka“. Sie nahmen ebenso auf das Annenfest Bezug wie schon Mozart: seine Mutter hieß ja Anna Maria und seine Schwester „Nannerl“ Maria Anna. Als Geschenk erfreuten sich die „Annenfächer“ großer Beliebtheit und der „Annenstrauß“, der aus roten Rosen, roten Nelken und Schleierblumen bestand.

Wallfahrtsorte
Die erste Wallfahrtskapelle zur hl. Anna in Österreich ist das niederösterreichische Annaberg an der via sacra, der Heiligen Straße nach Mariazell. In der Steiermark kennen wir vier Anna-Wallfahrtsorte: Feldbach, Kapfenberg und Passail sowie die Filialkirche Jobst bei Blumau. Annakirchen und -kapellen gibt es vielerorts, bei uns und in aller Welt , sei es in Deutschland und der Schweiz, in England, Italien, Frankreich oder sogar in Kanada, in Brasilien und auf der Insel Ceylon im Indischen Ozean.

Annakirtag
Vielleicht heißen auch Sie Anna, Anneliese, Anita, Anke, Nadja oder Annemarie - dann können Sie entsprechend feiern: rund um den Annatag gibt es heute noch Annakirtage mit
Messen, Prozessionen und Kirtagsstandeln: „Sankt Anna unsre Helferin, und unsere Beschützerin, wir rufen deine Fürsprach an, dein Bitt bei Gott uns helfen kann“ beginnt eines der bekannten Sankt-Annalieder.

„Ich mag meine Namenspatronin total gern“, so nochmals Anna Sallinger: „Sie, die erst so spät schwanger wurde, ist für mich ein Hoffnungszeichen und ein schönes Bild dafür, dass es nie zu spät ist, in meinem Leben für andere fruchtbar zu werden“.

Erschienen im Sonntagsblatt, Juli 2007

Auf einer Wellenlänge

„Allein kann ich nicht trainieren“, erklärte Markus Rogan, Österreichs erfolgreichster Schwimmer, kürzlich in der Katholischen Hochschulgemeinde Graz: „Ich brauche immer jemanden, der neben mir ist, der mitschwimmt – oder einen Trainer, der am Beckenrand steht und mir sagt, was gut und was schlecht ist“. Ansonsten wären die Monotonie des Trainings und die „Einsamkeit im Wasser“ einfach zu groß.

Ungewöhnliche Worte für den als sehr selbstbewusst geltenden Liebling der Medien: im Interview mit Michael Fleischhacker zeigte sich der junge Sportler, der am 4. Mai 25 wird, als nachdenklich Suchender, dem Existenz- und Zukunftsängste, Angst vor dem Versagen und der Zeit danach, ebenso wenig fremd sind wie Sackgassen, die „leider kein Verkehrszeichen haben, die einen rechtzeitig warnen“. Der Gewinner von Silber bei Olympischen Spielen und Absolvent der Stanford University in Kalifornien, weiß auch, dass er seine Entscheidungen nicht rational trifft, sondern erst durch das „Dazuschalten der Gefühle“ erkennt, was für ihn wirklich das Beste ist.

„Keiner ist eine Insel, in sich selbst vollständig“, schrieb der englische Dichter John Donne. Es berührt, wenn Menschen, die einsame Spitze sind, zugeben, dass sie andere brauchen und allein, aus eigener Kraft, nicht zu ihren Höchstleistungen fähig wären.

Wo auch immer wir selbst gerade im Strom des Lebens unterwegs sind: es ist gut, sich umzuschauen, wer neben uns auftaucht oder ins Schwimmen gerät, wer Oberwasser gewinnt oder zu ertrinken droht. „Liebt einander, helft einander“: Erkennen, dass man anderer bedarf, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.

Erschienen im Sonntagsblatt, März 2007

Auch du bist Mozart

Im Rahmen der Festivitäten rund um den Geburtstag von Wolfgang Amadé gibt es unter anderen ein Projekt „Auch du bist Mozart“, das jedermann einlädt, sich und sein Können öffentlich zur Schau zu stellen. Eine hübsche Idee, wenn es darum geht, Hemmschwellen abzubauen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es solche heute überhaupt noch gibt.

Oder ob – während wir eifrig niederschwelligste Angebote kreieren – den Menschen nicht zunehmend das wirklich Große, Erhabene fehlt. Einerseits wird ihnen vorgegaukelt, jedem sei alles möglich, so er nur wolle (was eine Quelle für unendlichen Frust sein kann). Andererseits werden herausragende Menschen gerne postwendend wie posthum demontiert, indem man selbst ihre intimsten Seelenwinkel ausleuchtet, nur um nach dem medialen Fegefeuer beruhigt festzustellen, dass auch sie nur Menschen wie du und ich sind, mit Fehlern und Schwächen.

Manchen Artikelschreibern zufolge war der große Mozart nur ein schmächtiger, blatternvernarbter, zum Wunderkind dressierter Sonderling, dem Religion nicht viel bedeutete und der Kirchenmusik großteils nur routinemäßig auf Bestellung schrieb.

Demgegenüber steht die Einschätzung Mozarts durch große Persönlichkeiten, sei sie von Goethe („unerklärliches Wunder“), Leonard Bernstein („göttlich, ein himmlisches Genie“), Albert Einstein („Seine Musik ist so rein und schön, dass ich sie als die innere Schönheit des Universums ansehe“), oder Nikolaus Harnoncourt („Mozart ist von einem anderen Stern, ein Griffel in der Hand Gottes“). Auch Joseph Haydn verbeugte sich ehrfürchtig vor seinem „unnachahmlichen“ Kollegen.

Begnadete Menschen bereichern die Welt und sind ein Angebot Gottes, aus dem Profanen heraus-, und in das Göttliche hineinzuragen. Es bedarf dazu aber einer etwas altertümlich anmutenden Haltung: des Sich-Verneigen-Könnens.

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2006

ALLERSEELEN: Zur „Missa solemnis“ am Allerseelentag im Grazer Dom

„Am Grab der meisten Menschen trauert, tief verschleiert, ihr ungelebtes Leben“, hat einmal jemand bemerkt. Wenn wir zu Allerseelen auf den Friedhof gehen, bleibt vielleicht auch ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken, wieviel wir von uns selbst schon begraben haben an Hoffnungen, Träumen und Idealen. Sind wir (noch) so, wie Gott uns gedacht hat, oder wenden wir enorm viel Kraft auf, um dem zu entsprechen, was andere von uns denken (sollen).

„Es ist verdammt schwer, einem Image gerecht zu werden“, sagte einer, der es wissen musste. Heute noch, 26 Jahre nach seinem Tod pilgern jährlich an die 600.000 Menschen zu seiner Gedenkstätte in Memphis - ungeachtet dessen, dass dort ein Mensch begraben liegt, der von sich sagte „Ich habe es satt, Elvis Presley zu sein“ und an dieser unüberwindbaren Diskrepanz zwischen dem, der er sein sollte und dem, der er sein wollte viel zu jung zerbrach.

Auch Ludwig van Beethoven verzweifelte oft an seinem Leben, das ihm das zutiefst erhoffte, persönliche Liebesglück versagte. Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, zog Beethoven einen Schlussstrich, indem er den „leiblichen, irdischen Beethoven“ zu Grabe trug und nur noch für die Kunst lebte, schreibt ein Biograph. Dass ihn ihn dann aber das Gehör zunehmend im Stich ließ, war für Beethoven wie ein weiterer Keulenschlag. Er trug sich mit Selbstmordgedanken, war aber unglaublich froh, dass er diese letztlich überwand. „Die Frage nach den letzten Dingen hat Beethoven sein Leben lang gewälzt“, ist Domkapellmeister Josef M. Doeller überzeugt: „Für Beethoven war das Taubsein ja schon ein bisschen Totsein. Er nahm aber dieses bittere Leben dennoch an und beantwortete es mit seiner Urgewalt: Er schuf in diesen letzten Jahren sein größtes und schönstes Werk: die Missa solemnis.“ Dieser Werk wird am Allerseelentag im Grazer Dom zu hören sein. Aus ihm spricht die Zuversicht, die wir Menschen so sehr brauchen. Unser Totengedenken ist nicht ohne Auferstehungshoffnung. Im frühen Mittelalter wurden die jährlichen Gedenktage für die Toten auch meist nach der Osterzeit angesetzt. Erst als Abt Odilo von Cluny 998 für seine Klöster den 2. November einführte, verbreitete sich dieser neue Allerseelentag rasch im ganzen Abendland. Nach altem christlichen Volksglauben durften die Armen Seelen an diesem Tag aus dem Fegfeuer zur Erde aufsteigen und für kurze Zeit von ihren Qualen ausruhen. Aus dieser Vorstellung heraus entstanden viele abergläubische Bräuche: u.a. aß man am Abend von Allerseelen Hirsebrei und meinte, mit jedem Korn eine Seele aus dem Fegfeuer befreien zu können.

Erschienen im Sonntagsblatt, Allerseelen 2003

2 mal 3 macht 4?

„Zwei mal drei macht vier widdewiddewitt und drei macht neune,“ dieses Lied von Pippi Langstrumpf haben viele von uns noch im Ohr.

Am 28. März 1944 setzten die "Geburtswehen" für die beliebte Kinderbuchfigur ein: Heftiger Schneefall und eine eisglatte Strasse sorgten dafür, dass Astrid Lindgren, Hausfrau und Mutter, mit einem verletzten Fuß zwei Wochen lang ans Bett gefesselt war. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie jene Geschichten aufzuschreiben, die sie ihrer kleinen Tochter immer erzählt hatte.

Von Schweden aus, wo heuer der 100. Geburtstag von Astrid Lindgren (1907-2002) groß gefeiert wird, wurde Pippi Långstrump weltberühmt. Ihre Rechenkünste ließen zwar immer zu wünschen übrig, sie verwiesen aber bewusst auf eine andere Wirklichkeit außerhalb der gängigen Normen: „Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt“.

Bei der Erstellung unseres Sündenregisters kann es sein, dass wir ähnlich rechnen: dass wir in Bereichen, in denen wir Schuld auf uns laden, „fünf gerade sein lassen“ und unbekümmert sind, uns aber mit Schuldgefühlen quälen, wo wir es gar nicht in der Hand gehabt hätten, den Dingen einen anderen Lauf zu geben.

Wie wir vor Gott dastehen, können wir selbst nicht ermessen. Gott rechnet aber immer mit uns, auch im ursprünglichen Sinn des Wortes, das auf althochdeutsch „rehhanon“: „ordnen und lenken“ bedeutete. Wo wir und unsere Rechensysteme und Maßstäbe versagen, zählt letztlich nur seine unendliche Gnade und Güte.

Fallen und Darniederliegen kann auch – wie bei Astrid Lindgren – einen neuen Blickwinkel eröffnen, der einen Weg in eine andere Lebensdimension erkennen lässt.

Erschienen im Sonntagsblatt, März 2007

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