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Liebe fern gesehen: Julias und andere Wege zum Glück

LIEBE FERN GESEHEN - Julias und andere Wege zum Glück

Sie gelten als beliebte Bügelhilfen: Die nachmittäglichen Telenovelas mit ihren Heldinnen Bianca, Tessa und Julia. Nur: Die Geschichte sei immer dieselbe, lautet die Kritik. Armes, blondes, engelsgleiches Mädchen verliebt sich in wohlhabenden Traumprinzen und findet - nach allerlei Hürden - das grosse Glück.

"Wir haben 40 Jahre Emanzipation und versuchten, Frauen ein Selbstbewusstsein zu ermöglichen, das ihnen eine andere Perspektive eröffnet. Und auf einmal fallen die wieder zurück in diese Märchenzeit, diese Aschenputtelgeschichten und Prinzessinenspiele", zeigte sich eine Fernsehredakteurin enttäuscht. Kulturwissenschaftler orten neben der klischeehaften Rollenverteilung "starker Mann, passive Frau" in diesen "neuen Filmen mit alten Werten" sogar einen "Rückfall" in das bürgerliche Geschlechterideal des 18. und 19. Jahrhunderts: "Keuschheit bis zur Hochzeit - früher mag es das gegeben haben, heute findet man es nur noch in Telenovelas".

Da die Erzählung immer abrupt abreißt („Cliffhanger“) und somit den Zuschauer täglich wieder vor den Bildschirm zwingt, baut dieser im Lauf der Serie parasoziale Beziehungen zu den Schauspielern auf: Fremde werden zu Freunden und Vertrauten, mit denen man mitleben, „schön weinen“ kann, ohne dass es einem zu sehr an die eigene Substanz geht. Spezialeffekte wie ein golden glänzendes Licht ("Glow") verstärken den Zauber dieser Sendereihen, für die viele Erklärungen bemüht werden: Sehnsucht nach der heilen Welt und Flucht vor der Realität sowie der sozialen Kälte "da draußen". Jein, meint man dazu beim Deutschen Evangelischen Pressedienst: Für Frauen habe aufgrund vielfacher Benachteiligungen "eine sozial erfolgreiche Heirat de facto nach wie vor große Bedeutung." Die Seifenoper kann aber wohl auch einfach ein erholsames Schaumbad sein, das man sich – zufrieden mit dem eigenen Leben – zwischendurch einmal gönnt.


TELENOVELAS IN LATEINAMERIKA - Spielräume für Träume

Die Telenovelas haben ihren Ursprung im vorrevolutionärem Kuba, wo den Arbeiterinnen in den Zigarren-Manufakturen während ihrer Tätigkeit Romane in Fortsetzungen vorgelesen wurden. 1930 ging in Kuba erstmals eine Radionovela auf Sendung. In Europa erfreuten sich im 19. Jahrhundert Fortsetzungsromane in Zeitschriften (etwa Alexandre Dumas' "Die drei Musketiere" und Charles Dickens "Oliver Twist") großer Beliebtheit. In den 1950er Jahren entdeckte man in Lateinamerika schließlich diese Erzählform für das Fernsehen. Die erfolgreichsten Telenovelas stammen aus Mexico und Brasilien und laufen dort zur besten Sendezeit. Die Seifenopern, von denen es in den USA etwa 30 täglich gibt, sind aus dem amerikanischen Alltag nicht mehr wegzudenken; sie traten längst ihren Siegeszug rund um den Globus an.
Dass nun in Lateinamerika der Geschichte vom armen, aber gutaussehenden Mädchen, das sich in einen reichen Mann verliebt, eine besondere Bedeutung zukommt, läßt sich gut nachvollziehen. Wenn den Familien auch vieles nicht verfügbar ist, die tägliche Sendung ist es und sie bringt Spannung und Bewegung in einen lähmenden Alltag. Für viele gelangt damit auch ein Hauch von Luxus in ihre bittere Armut.


ROSAMUNDES ALLTAGSGRAU

Es ist wohl in vielen Familien ein sonntägliches Ritual: Die Diskussion, ob das Wohnzimmer abends zum "Tatort" oder zum "Himmel über Cornwall" wird: Mord oder Liebe, Krimi oder Rosamunde Pilcher lautet die Frage. Die 82jährige Dame zählt zu den erfolgreichsten Autorinnen der Gegenwart und wurde u.a. für ihre eindrucksvolle Darstellung ihrer Heimat Südengland mit dem Britischen Tourismuspreis ausgezeichnet.
"Nennen Sie es ruhig Kitsch. Das berührt mich nicht", gibt sich die Millionärin Kritikern gegenüber entspannt: "Ich glaube dennoch, dass ich einen guten Stil habe". Ihr Erfolgsgeheimnis ist wohl dieser fein abgestimmte Mix aus meeresbrisefrischem Urlaubsgefühl, Verwirrungen der Herzen und romantischer Liebe, vornehm serviert im gehobenen englischen Milieu. „Leichte Lektüre für intelligente Damen“, nennt sie es selbst. "Alles wird gut", weiß das Publikum, während Intrigen die Idylle trüben und auf atemberaubenden Klippen die großen Lebensentscheidungen getroffen werden müssen. Sie selbst aber kenne "diese Liebesblitze nicht, wenn das Herz flattert und der Verstand aussetzt.", gesteht Rosamunde Pilcher erstaunlich nüchtern. "Ehe ist nicht ewige Liebe und Glück. Ehe ist ein Job – kein Vergnügen. Ehe ist Arbeit: Viel reden, planen, Kompromisse machen." Die Hausfrau und vierfache Mutter, die erst mit 63 Jahren den Durchbruch schaffte, macht auch keinen Hehl daraus, dass das Schreiben schon zu Beginn ihrer Ehe eine Flucht in eine Traumwelt war, die ihre Beziehung letztlich aber rettete. "Frauen müssen aggressiv sein, wenn sie gleichberechtigt und erfolgreich sein wollen", gibt sie sich kämpferisch. Ihr eigener Mann, der Textilunternehmer Graham, sei "immer abgehauen", wenn es eng wurde, zum Golfen oder Moorhuhnschießen: "So sind sie, die Männer". Vor diesem Hintergrund versteht man sie neu, ihre Geschichten, die "Der Preis der Liebe" und "Rückkehr ins Paradies" heissen...

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2006

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