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Über Schatten

„Ich freue mich heute noch, dass es mir gelungen ist, den heutigen Tag noch zu erleben“, kalauerte einst Karl Valentin, der am 4. Juni seinen 125. Geburtstag gefeiert hätte.

Mit dem Tod ist aber nicht zu scherzen: „Der Mensch lebt kurze Zeit und flieht wie ein Schatten“, heißt es bei Hiob.

Vielleicht führen wir bisweilen ein Schattendasein und bleiben hinter unseren Möglichkeiten zurück. Selbst äußerlich erfolgreiche Menschen sind davor nicht gefeit, im Gegenteil. Die Gefahr ist groß, sich ständig in den eigenen Leistungen finden zu wollen, sich im eigenen Tun zu spiegeln. Doch diese Doppelsicht spaltet den Menschen: in zwei Schatten, die sich bald gegenseitig bekämpfen. Thomas Merton: „Während der eine Schatten dazu bestimmt war, den anderen zu bestätigen und zu loben, beschuldigt jetzt einer den anderen“: Nie reicht sein Tun aus. Nie ist er gut genug.

Erschöpfung, Nichtigkeitsgefühl, Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit sind die Folge. Eine Seele, die restlos und rastlos im Handeln aufgeht, die dauernd außer sich ist, gleicht „einem Verrückten, der vor seinem Hause schläft, anstatt drinnen zu wohnen, wo es ruhig und warm ist“, beschrieb es Merton.

Wenn wir in der Sonntagslesung hören, dass der Prophet Elija den toten Jüngling in sein eigenes Bett legt, dann bringt er ihn an einen Platz, wo Ruhe möglich ist. Und wenn er sich, zum Herrn flehend, dreimal über ihn ausstreckt, dann gleicht dies dem Überschatten durch die Kraft des Höchsten.

Wenn wir aufhören, uns stets von außen zu sehen und stattdessen bei uns und in Gott daheim bleiben, dann wärmt uns das innere Feuer, anstelle uns auszubrennen. Ja und dann können wir uns wirklich freuen, den heutigen Tag noch so zu erleben.

Erschienen im Sonntagsblatt, Mai 2007

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