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ALLERSEELEN: Zur „Missa solemnis“ am Allerseelentag im Grazer Dom

„Am Grab der meisten Menschen trauert, tief verschleiert, ihr ungelebtes Leben“, hat einmal jemand bemerkt. Wenn wir zu Allerseelen auf den Friedhof gehen, bleibt vielleicht auch ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken, wieviel wir von uns selbst schon begraben haben an Hoffnungen, Träumen und Idealen. Sind wir (noch) so, wie Gott uns gedacht hat, oder wenden wir enorm viel Kraft auf, um dem zu entsprechen, was andere von uns denken (sollen).

„Es ist verdammt schwer, einem Image gerecht zu werden“, sagte einer, der es wissen musste. Heute noch, 26 Jahre nach seinem Tod pilgern jährlich an die 600.000 Menschen zu seiner Gedenkstätte in Memphis - ungeachtet dessen, dass dort ein Mensch begraben liegt, der von sich sagte „Ich habe es satt, Elvis Presley zu sein“ und an dieser unüberwindbaren Diskrepanz zwischen dem, der er sein sollte und dem, der er sein wollte viel zu jung zerbrach.

Auch Ludwig van Beethoven verzweifelte oft an seinem Leben, das ihm das zutiefst erhoffte, persönliche Liebesglück versagte. Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, zog Beethoven einen Schlussstrich, indem er den „leiblichen, irdischen Beethoven“ zu Grabe trug und nur noch für die Kunst lebte, schreibt ein Biograph. Dass ihn ihn dann aber das Gehör zunehmend im Stich ließ, war für Beethoven wie ein weiterer Keulenschlag. Er trug sich mit Selbstmordgedanken, war aber unglaublich froh, dass er diese letztlich überwand. „Die Frage nach den letzten Dingen hat Beethoven sein Leben lang gewälzt“, ist Domkapellmeister Josef M. Doeller überzeugt: „Für Beethoven war das Taubsein ja schon ein bisschen Totsein. Er nahm aber dieses bittere Leben dennoch an und beantwortete es mit seiner Urgewalt: Er schuf in diesen letzten Jahren sein größtes und schönstes Werk: die Missa solemnis.“ Dieser Werk wird am Allerseelentag im Grazer Dom zu hören sein. Aus ihm spricht die Zuversicht, die wir Menschen so sehr brauchen. Unser Totengedenken ist nicht ohne Auferstehungshoffnung. Im frühen Mittelalter wurden die jährlichen Gedenktage für die Toten auch meist nach der Osterzeit angesetzt. Erst als Abt Odilo von Cluny 998 für seine Klöster den 2. November einführte, verbreitete sich dieser neue Allerseelentag rasch im ganzen Abendland. Nach altem christlichen Volksglauben durften die Armen Seelen an diesem Tag aus dem Fegfeuer zur Erde aufsteigen und für kurze Zeit von ihren Qualen ausruhen. Aus dieser Vorstellung heraus entstanden viele abergläubische Bräuche: u.a. aß man am Abend von Allerseelen Hirsebrei und meinte, mit jedem Korn eine Seele aus dem Fegfeuer befreien zu können.

Erschienen im Sonntagsblatt, Allerseelen 2003

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