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Zur zunehmenden Sakralisierung des Alltags

„Wir sind ein Genusstempel, keine Kirche“, betonte kürzlich der Chef eines Restaurants im Zuge der Rauchverbotsdebatte.

Interessant. Nicht zuletzt, weil hier einmal mehr zum Ausdruck kommt, wie sehr heute banale Dinge des Alltags (hier das Essen in einem Gasthaus) überhöht und mit ungeheurer Bedeutung aufgeladen werden. Dieser Trend spiegelt sich in der gesamten Konsumwelt wider: „Die Gestaltung von Kaufhäusern entspricht dem Prinzip von grossen Wallfahrtskirchen mit kleinen, eingebauten Verkaufsständen“, ist die Grazer Kunsthistorikerin Wiltraud Resch überzeugt. Und diese zunehmende Sakralisierung zeigt sich nicht nur in der Monumentalität von Bauten, die früher den Kirchen vorbehalten war. Auch neue Auslagenkonzepte kommen zum Tragen: Die Kosmetikbranche etwa spielt fast nur mit liturgischen Farben und setzt bevorzugt das Kardinalsrot ein. In Verbindung mit dem vielen Glas der Fassaden und Inneneinrichtungen soll dies Kostbarkeit ausdrücken. Doch damit nicht genug: Ein banaler Schuh wird in einer Glasvitrine präsentiert wie in einer Monstranz, eine einzelne Handtasche aufbewahrt wie in einem Tabernakel. Auch die Portale zu den Einkaufstempeln und – paradiesen werden immer ausladender. Die Türen öffnen sich meist automatisch, d.h. die Schwelle, die bei den Kirchen das Profane vom Heiligen trennt, fällt hier meist weg. Besonders exklusive und teure Geschäfte setzen diese Schwelle jedoch bewusst wieder ein, stellt Christian Mikunda in seinem Buch „Der verbotene Ort oder Die inszenierte Verführung““ fest. Und er vergleicht die Glasvitrinen mit Schmuckstücken beim Juwelier nicht zufällig mit den Reliquienschreinen früherer Jahrhunderte.

Da sich der heftig umworbene Kunde den unzähligen Werbebotschaften, die auf ihn einprasseln, immer mehr verschließt, versucht die Werbung verstärkt, „die Ebene des Religiösen zu erreichen und gewisse Empfindungen zum Schwingen zu bringen“, so Wiltraud Resch. Verführerische Slogans versprechen mit dem Kauf eines Produkts u.a. Wohlbefinden und eine Erhöhung der Persönlichkeit. Oder wie es William Feather formulierte: „Hinter der Werbung steht vielfach die Überlegung, dass jeder Mensch eigentlich zwei sind: einer, der er ist, und einer der er sein will“.

Was früher dem Sakralen vorbehalten war: den Menschen mehr Selbstbewusstsein und Würde zu geben, das Schöne, die Ästhetik, ein Hauch von Luxus und Besonderheit, Exklusivität und Abgeschlossenheit, die Musik, die besonderen Gerüche, – all das übernimmt die Werbung in vollen Zügen. Viele Bereiche setzen auf sakrale, aber auch auf magische Momente: Betrachten Sie nur einmal bewusst die beliebte „Millionenshow“: Armin Assingers Erscheinen in gleißendem Licht, das Symbol der Sendung selbst, die Studiogestaltung, das himmlisch glänzende Blau-Silber, das aufleuchtende Morgenrot, der erhöht thronende Moderator, die grellen Lichtblitze...

Während nun das Profane immer sakraler wird, wird das Sakrale zusehends profaniert, stellen Kultursoziologen fest. (Das Wort profan kommt vom lateinischen „profanus“ und bedeutete ursprünglich nicht geheiligt, nicht eingeweiht, „vor dem heiligen Bezirk liegend“). Auch der Theologe Thomas Meurer von der Universität Münster ist besorgt: „Viele Kirchen in Europa – vor allem in den Großstädten – geraten heute in Gefahr, nur noch ihre sakrale Würde zu behalten, ihre sakrale Wirkung aber mehr und mehr zu verlieren. Denn das Bewusstsein für sakrale Räume schwindet umso mehr, je massiver der gesamte Alltag zum sakralen Bereich erklärt wird. Wenn aber alles sakral ist, dann ist letztlich nichts mehr sakral.“ Hinzu kommt - so Resch – dass in den Kirchen seit den 60er Jahren, die Mehrzweckhallen ohne Turm mit sich brachten, bisweilen eine gegenteilige Philosophie vorherrscht: Es soll hier alltäglich sein, der Mensch muss im Alltag angesprochen sein. Hier gälte es, das Einzigartige eines Gotteshauses wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken, denn „wir haben das Sakrale des Kirchenraums heute nötiger denn je.“

Erschienen im Sonntagsblatt, April 2004

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