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MARTINILOBEN UND GANSLESSEN

Zum Ende des Kirchenjahres wird alljährlich der Hl. Bischof Martin von Tours, der sich europaweit einer ungebrochenen Popularität erfreut, ausgiebigst gefeiert.

"Ganslessen“ schreiben zur Zeit wieder viele Wirtsleute mit weißer Kreide auf schwarze Schiefertafeln und locken zu einem Festschmaus, der eine jahrhunderte lange Tradition hat: als letztes großes Essen vor der (früher sechswöchigen) Fastenzeit des Advents.

So heißt es um 1500 in einer Kirchenordnung aus St. Marein bei Knittelfeld: „Ain sandt Merten tag so singt man vesper und ambt, auch ophert man huener dem heyligen sandt Merthen.“ In einer Wirtschaftsrechnung des Domstiftes Seckau scheinen 1586 zu Martini „geselcht Gennss“ auf. Und auch in Graz durfte auf keiner gut bürgerlichen Tafel der Gänsebraten fehlen: am 11. November 1799 wurde hier sogar das Schauspiel „Die Martinsgänse“ auf die Bühne gebracht.

Warum aber gerade am Festtag des Hl. Martin von Tours (316/317 - 397) dermaßen geschlemmt wird, dass man in Frankreich sogar generell zum üppigen Speisen „martiner“ sagt und die anschließenden Magenbeschwerden gerne als St. Martins-Schmerzen („mal de Saint Martin“) in Kauf nimmt, hat aber viele und weit zurückreichende Gründe:

Der Martinstag markierte früher nicht nur den Winterbeginn und das Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres mit Almabtrieb, Erntedank und Martinimarkt, wie er etwa in St. Martin im Sulmtal heute noch begangen wird. Er war auch das erste große Schlachtfest, dem vor allem das sich in der besten Mast befindliche Geflügel zum Opfer fiel. Denn „auf Martini“ war Zinszeit, an dem die Grundherrn ihren Anteil einforderten, und nicht umsonst hieß es: „Sankt Martin ist ein harter Mann, für den, der nicht bezahlen kann“. Ein einschneidender Tag übrigens auch für das Gesinde: er entschied, ob man entlassen oder neu eingestellt wurde. Kein Wunder also, dass bei gutem Abschluß dieser Bauernfesttag entsprechend gefeiert wurde.

So gab es etwa im Ennstal zum Martinsfest nicht nur eine Prozession von Öblarn nach St. Martin am Grimming, sondern auch gehaltvollste Kost, bestehend aus einer Schnapssuppe, Schweinsbraten und Schnapsnudeln: das waren Raunkerln aus Germteig, die in Schnaps und Gewürzen aufgekocht, angezündet und brennend serviert wurden. Es musste also keineswegs immer ein Gansl sein. Aber ein Bauernhof, der früher zu Martini nicht entsprechend aufkochte, wurde „Hungerhof“ gescholten; nicht zuletzt gingen dann auch die „Spießer“, arme Leute, die Holzstäbe durch die Fenster der Bauernhäuser streckten, damit Fleisch und Krapfen draufgespießt wurden, leer aus. Den traditionellen Festgottesdienst feiert St. Martin am Grimming übrigens heute noch und wie anno dazumal ist auch „da Abt von Admont allweil da“, so Diakon Wolfgang Griesebner. Das Schnapsmenü wich freilich längst einem „Ganslessen für’n Chor und die Festgäst’“.

Wie der Aschermittwoch hat die Zeit um Martini einen Schwellenfestcharakter, wobei beim „Martiniloben“ der neue gesegnete Rebensaft nicht fehlen durfte: von „gebrathen Gensen und gueten Wein“ schwärmten Reisende schon 1583 in Steinach. In der Radkersburger Gegend wiederum wurde das „Mirtenmahl alljährlich abwechselnd von den einzelnen Bauern eines Ortes gegeben, die einen Halben Wein beistellen, während sich die übrigen mit Zugaben von Braten und dergleichen beteiligen“, heißt es 1890. Weil Martini auch „Rechttag“ war, musste in Orten wie Preding der Gemeinderichter „eine große Schmauserei“ ausrichten. Und „in Gnas“, entnimmt man einer Aufzeichnung aus dem Steirischen Volkskundemuseum von 1891, „ist es zu Martini Brauch, dass der Pfarrer ein paar Gänse springen lässt“. Davon wisse man heute nichts mehr, meinte die Gnaser Pfarrsekretärin Erika del Negro auf meine Nachfrage hin freundlich. (Eigentlich wurden ja soundso die Pfarrer und Dorfschullehrer von den Bauern beschenkt und nicht umgekehrt.) Was es in Gnas allerdings heute noch gibt, ist das vielerorts beliebte Martinsfest für die Kleinen.

Diese Laternenumzüge der Kinder wurzeln in den liturgischen Lichterprozessionen am Vorabend des Festtages und in den Martinsfeuern, die auf den Feldern und in den Bergen entzunden wurden: in vorchristlicher Zeit, um den Sommer zu verbrennen, später um Licht ins Dunkel zu bringen, wie die guten Taten Martins das Erbarmen Gottes in die Dunkelheit der Gottesferne brachten.

„Bis zu zehn Kindergärten kommen jährlich auch zu uns, um in der Martinskirche zu feiern“, freut sich auch der Direktor von Schloss St. Martin in Graz, Martin Schmiedbauer. Erst heuer war er wieder nach Tour zu seinem Namenspatron gepilgert, der ihm aufgrund seiner Menschlichkeit ein „großer mutmachender Freund“ geworden ist: „Dieser faszinierende Heilige, der vom Osten, d.h. der burgendländisch-ungarischen Grenze, nach Westen gewandert ist, wird als ökumenischer und europäischer Patron von a l l e n Kirchen verehrt!“. Keine Frage, dass der Heilige Martin auch auf St. Martin gebührend gefeiert wird: mit Laternenfest, Sternwanderung und Martinsspiel am 9.11. und einem festlichen Gottesdienst am 11.11. Sie sind zu allem herzlich eingeladen.

Erschienen im Sonntagsblatt, Oktober 2007

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