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Ich habe gesündigt

„Gamlitz-der erlaubte Seitensprung“, tönt es zur Zeit aus dem Radio, eine oststeirische Weinkönigin wiederum bewirbt den Traminer mit der Empfehlung: „...und führe er uns in Versuchung“. Wer Werbung aufmerksam hört, nimmt nicht nur bei der Weinpromotion einen verstärkten Trend wahr: das Spiel mit Wertvorstellungen und konkret auch mit christlichen Botschaften.

Eine grundsätzliche Nähe gibt es schon lange, immerhin werden die selben Sehnsüchte des Menschen angesprochen: „Liebe ist ein Trend, der nie abreißt“, lautet nicht etwa eine Neuversion des Korintherbriefes (13,8), sondern die Erklärung des Werbeprofis Oliver Voss für viele neue Werbekampagnen: von „I’m loving it“ (McDonalds) über „Is it love?“ (Mini-Cooper) bis hin zu „Alles aus Liebe“ (Bipa).

Die heile Werbewelt wird jedoch zunehmend langweiliger, sind die Werbegurus Holger Jung und Jean-Remy von Matt überzeugt: „Nur wer vom idealen Menschen abweicht, kann Menschen begeistern. Wer überholen will, muss auf die Kampflinie ausweichen, die schmutziger und riskanter ist“. Ihr Werbeslogan „Geiz ist geil“ gehört zu den erfolgreichsten und vielzitiertesten überhaupt. Und Sünden sind zur Zeit in: sei es der Neid („Und was sagt Ihr Nachbar?“) oder die Habsucht („Nimm alles!“). In netten Werbespots wird gelogen (er sagt zu ihr, er stecke im Stau, sitzt aber mit Freunden bei einem Bier im Lokal), betrogen (zwei Partner gehen fremd und entdecken ein Pflaster an der Schulter des anderen) und gestohlen (ein Fußballer „spart“ die Münze des Schiedsrichters „für später“ auf).

Lifestyle-Magazine sind von diesem Trend nicht ausgenommen: „Heute schon gesündigt?“ fragt z.B. eine Frauenzeitschrift ihre Leserinnen und ermutigt zu Rache, Neid und Seitensprung. Denn: „Immer nur tun, was erlaubt ist – wie langweilig!“ Lieber lustvolle Regelbrüche, denn diese „kleinen Adrenalinstöße sind die Schaumkronen auf dem Alltagseinerlei“. Aus christlicher Sicht sind hier durchaus auch Abschaumkronen dabei.

Nicht von ungefähr gibt es parallel dazu ein zunehmend großes Bedürfnis nach Frische, Reinheit und Ursprünglichkeit: da schmeckt ein Joghurt plötzlich „wie der junge Tag“ und werden banale Raumsprays zu „Düften, die ihr Leben verändern“. Die Motivforscherin Helene Karmasin erkennt in diesem Phänomen die Idee des Sakralen wieder. Nunmehr als die „Idee der unberührten, reinen, sakralen Natur, die frei ist von jedem industriellen Eingriff und die deshalb einen ganz besonderen, wertvollen, geheiligten Bezirk darstellt, aus dem besondere Objekte kommen“: etwa Wein, Bier, Mineralwasser und Fruchtsaft.

Unsere Botschaften werden gerne als Spielball aufgegriffen: Auf einem Transparent, das an einer Wiener Kirche angebracht und aufgrund des starken Verkehrsaufkommens immer rasch grau verschmutzt war, steht zu lesen: „Es gibt einen, der dich liebt – Jesus Christus“. Voriges Jahr wurde in unmittelbarer Nähe ein riesiges, blütenweißes Transparent ausgespannt: „Es gibt noch einen, der dich liebt – T-Mobile“. Es musste aber auf Drängen der Kirche schon bald wieder beseitigt werden.

Viele Werbekonzepte zielen bewusst auf die Lust am Dekodieren und Wiedererkennen: „Die Ersten werden die Ersten sein“ (Ford), „Die Stärke sei mit Dir“ (Fisherman’s friends), „Ich habe gesund-igt“ (Nutrel/Nestle). Parodien dieser Art finden sich aber auch anderswo; in einem Lied von Roland Neuwirth heißt es: „O Herr, mach mich nicht schwach, dass ich nicht eingeh‘ unter dem Dach.“

Freilich funktioniert dies nur vor dem Hintergrund eines biblischen bzw. katholischen Restwissens.
Denn zahlreiche Parodien haben heute keinen Witz mehr, meint auch der alte Kabarettist Gerhard Bronner, da viele Menschen entweder das Original nicht mehr erkennen oder es ihnen heilig ist („Über den Elvis macht man keinen blöden Witze“).

Wie heilig, ist an der Einladung des Grazer Schauspielhauses zu einer Hommage an Elvis Presley („A date with Elvis“) vom 2. Juli 2004 abzulesen.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2004

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