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Sonntagsblatt

Sonntag, 6. Januar 2008

Gottes Serienmänner

Jan Mojto, erfolgreicher Medienmacher und Gast bei „Geist & Gegenwart“, kritisierte den Umgang der Kirche mit den Medien: Sie habe u.a. den Trend, Werte über Unterhaltungsprogramme zu transportieren, bislang verschlafen. Dabei habe „Fernsehen hat größeren Einfluß auf das menschliche Denken, als wir zugeben wollen.“

Tatsächlich wird das Bild der Kirche wohl nicht unerheblich von Sendeformaten wie „Pfarrer Braun“ geprägt, der letzte Woche wieder 767.000 Zuseher österreichweit vor den Bildschirm lockte. Ottfried Fischer löste als schwergewichtiger Pfarrer einmal mehr einen ominösen Mordfall. In den Nebenrollen: ein sportlicher Pastor, eine resolute Pfarrhaushälterin, ein eitler Bischof und dessen mimosenhafter Sekretär. Während Fischer den sturen Eigenbrötler mimt, sind die übrigen Serien-Geistlichen (etwa auch der „Pfarrer“ von Tölz) als knieweiche Gestalten angelegt, die betulich Bibelverse zitieren und sich kindlich-naiv bis feige durch ihr Drehbuchdasein lavieren. In Deutschland, wo über 6 Millionen Menschen den „Pfarrer Braun“ verfolgen, wurde Kardinal Karl Lehmann bereits gefragt, ob die Kirche angesichts dieses Erfolges nicht offensiver eigene Pfarrerserien fördern solle. Er verneinte: Ottfried Fischer sei für ihn als „Leutepfarrer“ geradezu ein „Glücksfall“ und: „Wenn man solche Filme von der Kirche strategisch planen würde, dann würde das schnell schief gehen“. Er hat wohl recht, dennoch sollten wir nicht vergessen, dass Unterhaltung langfristig das mitformt, was wir unter Haltung verstehen.

Geschrieben im Mai 2005

Wenn der Wettergott mitspielt

„Da Winter is außi“, ist auch der „Wetterpauli“ froh. Der beliebte ORF-Mann pflegt persönlich nicht den Kontakt zu einem „Wettergott“, sondern zum Herrgott.

Es ist wohl das beliebteste Gesprächsthema überhaupt, das Wetter. Viel hängt von ihm ab: eine gute Ernte und somit die Existenz, mitunter aber auch „nur“ ein schönes Wochenende oder Erfolg im Leistungssport: „Wir wollen nicht, dass der Windgott die Qualifikation entscheidet“, erklärte Herren-Schitrainer Toni Giger die Abfahrtsaufstellung bei der Schi-WM in Bormio. „Nachdem es der Wettergott momentan nicht so gut mit uns meint: Tanken Sie doch Sonnenkraft in unserem Solarium!“ empfiehlt das Gästeblatt einer steirischen Therme. „Wenn der Wettergott gnädig ist“, meinte schließlich ein niederösterreichischer Pfarrer am Ende eines Firmgottesdienstes, gäbe es nach der Messe noch ein Fest im Freien. (Woraufhin Firmspender Kardinal Schönborn vor dem Schlusssegen noch rasch klärte, dass "der Wettergott niemand anderer als unser lieber Gott ist".)

Woher kommt nun aber diese Vorstellung eines Wettergottes? Sie findet sich in vielen Kulturen: Die Kanaaniter verehrten den Fruchtbarkeits- und Wettergott Baal, die Griechen u.a. Zeus, die Germanen Donar (skand. Thor). Donars Tag (engl. thursday) war ein besonderer (Fest-)Tag, an dem man gerne Hochzeiten feierte, die „Donnerstagskinder“ wiederum galten als besondere Glückskinder. Und man traute dem Wettergott sogar Heilkräfte zu: In Köflach und anderen Gebieten soll es Sitte gewesen sein, sich beim ersten Donner auf dem Boden zu wälzen, um von Kopf-, Kreuz- oder Rückenschmerzen befreit zu werden. (Das Wort „Donner“ leitet sich ebenso von Donar ab wie der Fluch „Donnerwetter“, oder „da schlag (fahr) doch das Donnerwetter drein“.)

Als die irischen Mönche im 7. Jahrhundert im Zuge ihrer Missionierung an heidnischen Kultstätten christliche Kapellen weihten, widmeten sie die Donarheiligtümer bewusst auf St. Petrus um: Der Bewacher des Himmelstores wurde somit auch zum Wetterregenten. „Ja, ich habe mit Petrus gesprochen“, meinte sogar Papst Johannes Paul II. bei seinem Österreichbesuch 1983 angesichts des schönen Wetters in Mariazell augenzwinkernd zu Altbischof Johann Weber.

Unter christlichem Einfluss änderten sich die Vorstellungen: Nun verband man mit dem Donner nicht mehr Donar, sondern die Zornesstimme Gottes. Gerne stellten sich die Menschen beim dumpfen Grollen aber auch Petrus und die Engel beim Kegelscheiben vor. In Polen hieß es, Petrus gehe durch eine enge Halle und seine Schlüssel schlagen dabei an die Wand. Sah man weiße Wölkchen am Himmel wähnte man Petrus beim Schäfchen weiden oder Brot backen. Und zeigte sich das Wetter sehr unregelmäßig, war man überzeugt: Der liebe Gott ist nicht zu Hause, deshalb regiert der Petrus.

„Wenn die Leut‘ bei uns in der Steiermark vom Wettergott reden, meinen sie eigentlich immer den Petrus oder den Herrgott“, bestätigt auch Paul Prattes vom ORF-Landesstudio Steiermark. 1996 erhielt der Offizier (Fliegerbataillon2/Zeltweg) aufgrund seines Wissens über die Wetterkunde die Chance, eine eigene Wettershow zu moderieren und wurde mit seinen selbstgestrickten Sprüchen („Is vorbei die Zeit für’n Jagatee, trinkt da Pauli wieder Eiskaffee...“) unglaublich populär: „Früher haben mich 90 % der Leute gefragt, wie es mir geht und 10 % wie das Wetter wird, heute ist es umgekehrt“ schmunzelt der Publikumsliebling, der die Wetterprognosen von der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) und aus Wien einholt. Und persönlich? Da hält es der „Wetterpauli“ weder mit Petrus noch irgendeinem „Wettergott“, sondern pflegt lieber den direkten Kontakt zu „dem da oben“. Denn Prattes, der sieben Jahre lang in St. Ulrich im Greith als Ministrant tätig war und auch das Sonntagsblatt ausgetragen hat, bezeichnet sich als gläubigen Menschen, dem Gott sehr wichtig ist. Und was wünscht er sich für die Zukunft? „G‘sundheit und dass i dås Wetta imma darråt (errate)!“ Das wünschen wir ihm auch.

Erschienen im Sonntagsblatt, April 2005

Geist ist geil

„Diese geile Messe war echt genial!!!!“, schrieben Babsie und Kathi (16) Sonntagnachts nach dem Jugendgottesdienst in der Wiener Kirche St. Florian ins Internetgästebuch. Die Katholische Jugend Wien hatte eingeladen, 2.500 Jugendliche waren dem Ruf gefolgt und genossen die „super Stimmung“, die „laute Rockmusik“ und die Lichtshows. „Das alltägliche Leben lässt uns leider viel zu oft vergessen, dass man auf den Geist in sich und anderen vertrauen kann!“, ergänzte eine begeisterte Steffi (18) und erklärte, warum niemand mehr gerne in die Kirche geht: „Weil sie langweilig ist!“. Der Jugendgottesdienst stand unter dem Motto „Geist ist geil“. Ein Titel, der nicht nur auf Zustimmung stieß, sondern auch als peinlich und billige Anbiederei kritisiert wurde, weil er doppeldeutig ist und zudem einen umstrittenen Werbeslogan parodierte. Die Veranstalter wiesen derlei Vorwürfe allerdings von sich: Zum einen sei er mit den Jugendlichen abgestimmt und zum anderen bewußt provokant gewählt worden, um zu zeigen, „was das Leben wirklich lebenswert, geil und cool macht“. Der Erfolg scheint ihnen recht zu geben. Ob er auch in der Zukunft hält, was er verspricht, muss sich freilich erst noch zeigen. Der neue Ton in der jungen Kirche läßt aufhorchen: Jakob (fast 18): „Ich war einfach super positiv überrascht, dass die ‚Kirche‘ in Österreich nicht nur aus alten Sandsäcken, die Rosenkränze beten, besteht...“ Aber bei aller Nachsicht für die Jugend: "Man kann keine Heimat haben, wenn man nicht bereit ist auch mit den Nachtwächtern und Spießbürgern [oder „Sandsäcken“] zusammen zu leben", so Karl Rahner.

Geschrieben im Jänner 2005

Ich habe gesündigt

„Gamlitz-der erlaubte Seitensprung“, tönt es zur Zeit aus dem Radio, eine oststeirische Weinkönigin wiederum bewirbt den Traminer mit der Empfehlung: „...und führe er uns in Versuchung“. Wer Werbung aufmerksam hört, nimmt nicht nur bei der Weinpromotion einen verstärkten Trend wahr: das Spiel mit Wertvorstellungen und konkret auch mit christlichen Botschaften.

Eine grundsätzliche Nähe gibt es schon lange, immerhin werden die selben Sehnsüchte des Menschen angesprochen: „Liebe ist ein Trend, der nie abreißt“, lautet nicht etwa eine Neuversion des Korintherbriefes (13,8), sondern die Erklärung des Werbeprofis Oliver Voss für viele neue Werbekampagnen: von „I’m loving it“ (McDonalds) über „Is it love?“ (Mini-Cooper) bis hin zu „Alles aus Liebe“ (Bipa).

Die heile Werbewelt wird jedoch zunehmend langweiliger, sind die Werbegurus Holger Jung und Jean-Remy von Matt überzeugt: „Nur wer vom idealen Menschen abweicht, kann Menschen begeistern. Wer überholen will, muss auf die Kampflinie ausweichen, die schmutziger und riskanter ist“. Ihr Werbeslogan „Geiz ist geil“ gehört zu den erfolgreichsten und vielzitiertesten überhaupt. Und Sünden sind zur Zeit in: sei es der Neid („Und was sagt Ihr Nachbar?“) oder die Habsucht („Nimm alles!“). In netten Werbespots wird gelogen (er sagt zu ihr, er stecke im Stau, sitzt aber mit Freunden bei einem Bier im Lokal), betrogen (zwei Partner gehen fremd und entdecken ein Pflaster an der Schulter des anderen) und gestohlen (ein Fußballer „spart“ die Münze des Schiedsrichters „für später“ auf).

Lifestyle-Magazine sind von diesem Trend nicht ausgenommen: „Heute schon gesündigt?“ fragt z.B. eine Frauenzeitschrift ihre Leserinnen und ermutigt zu Rache, Neid und Seitensprung. Denn: „Immer nur tun, was erlaubt ist – wie langweilig!“ Lieber lustvolle Regelbrüche, denn diese „kleinen Adrenalinstöße sind die Schaumkronen auf dem Alltagseinerlei“. Aus christlicher Sicht sind hier durchaus auch Abschaumkronen dabei.

Nicht von ungefähr gibt es parallel dazu ein zunehmend großes Bedürfnis nach Frische, Reinheit und Ursprünglichkeit: da schmeckt ein Joghurt plötzlich „wie der junge Tag“ und werden banale Raumsprays zu „Düften, die ihr Leben verändern“. Die Motivforscherin Helene Karmasin erkennt in diesem Phänomen die Idee des Sakralen wieder. Nunmehr als die „Idee der unberührten, reinen, sakralen Natur, die frei ist von jedem industriellen Eingriff und die deshalb einen ganz besonderen, wertvollen, geheiligten Bezirk darstellt, aus dem besondere Objekte kommen“: etwa Wein, Bier, Mineralwasser und Fruchtsaft.

Unsere Botschaften werden gerne als Spielball aufgegriffen: Auf einem Transparent, das an einer Wiener Kirche angebracht und aufgrund des starken Verkehrsaufkommens immer rasch grau verschmutzt war, steht zu lesen: „Es gibt einen, der dich liebt – Jesus Christus“. Voriges Jahr wurde in unmittelbarer Nähe ein riesiges, blütenweißes Transparent ausgespannt: „Es gibt noch einen, der dich liebt – T-Mobile“. Es musste aber auf Drängen der Kirche schon bald wieder beseitigt werden.

Viele Werbekonzepte zielen bewusst auf die Lust am Dekodieren und Wiedererkennen: „Die Ersten werden die Ersten sein“ (Ford), „Die Stärke sei mit Dir“ (Fisherman’s friends), „Ich habe gesund-igt“ (Nutrel/Nestle). Parodien dieser Art finden sich aber auch anderswo; in einem Lied von Roland Neuwirth heißt es: „O Herr, mach mich nicht schwach, dass ich nicht eingeh‘ unter dem Dach.“

Freilich funktioniert dies nur vor dem Hintergrund eines biblischen bzw. katholischen Restwissens.
Denn zahlreiche Parodien haben heute keinen Witz mehr, meint auch der alte Kabarettist Gerhard Bronner, da viele Menschen entweder das Original nicht mehr erkennen oder es ihnen heilig ist („Über den Elvis macht man keinen blöden Witze“).

Wie heilig, ist an der Einladung des Grazer Schauspielhauses zu einer Hommage an Elvis Presley („A date with Elvis“) vom 2. Juli 2004 abzulesen.

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2004

DIE ERSTEN WERDEN DIE ERSTEN SEIN - Verheißungen unserer Zeit

Die kürzlich erfolgte Verleihung des steirischen Werbepreises „Green Panther“ stand ganz unter dem Motto „Die Kunst der Verführung“. Und spätestens anhand der Zeitungsbeilage wurde klar: Die einst „geheimen Verführer“ treten immer offensiver an die Öffentlichkeit und bekennen sich stolz zu ihrer Profession: „Viele Steirer sind wirklich dankbar, dass es Werbung gibt, nimmt sie uns doch auf ganz unterschiedlichen Ebenen Entscheidungen ab. Verführt uns eben. So ist das wirkliche Leben“, heißt es da. Dass Ver-Führung ursprünglich „an einen falschen Ort bringen“, später „sittlich fehlleiten, irreführen“ bedeutete, scheint vergessen. Ja man preist die Werbung geradezu als „neue Religion für Markenbewußte“. Nimmt man nun die „rosaroten Worte“ der Werber genauer ins Visier, ergeben sich tatsächlich einige Parallelen.

„Liebe ist ein Trend, der nie abreißt“, lautet nicht eine Neuversion des Korintherbriefes (13,8), sondern die Erklärung des Hamburger Werbeprofis Oliver Voss für ein Phänomen, das viele Werbekampagnen prägt: von McDonalds („I’m loving it“) über den Mini-Cooper („Is it love?“) bis zu Bipa („Alles aus Liebe“). Selbst Katzenfutter wird wie ein Liebesmahl kredenzt. Denn bislang galt: Gute Werbung ist mit positiven Emotionen aufgeladen. Wenngleich auch diese heile Werbewelt zunehmend langweiliger wird. Ein nett gemachter, pfiffiger Spot genüge heute nicht mehr, die Dosis liege höher, sind die Werbeprofis Jung & Matt überzeugt: „Nur wer vom idealen Menschen abweicht, kann Menschen begeistern. Wer überholen will, muss auf die Kampflinie ausweichen, die schmutziger und riskanter ist. Und sie bewiesen ihre These mit dem vielzitierten Werbeslogan: „Geiz ist geil“. Sünden sind geradezu „in“: sei es der Neid („Und was sagt Ihr Nachbar?“) oder die Habsucht („Nimm alles!“).

„Heute schon gesündigt?“ fragte auch die Frauenzeitschrift „freundin“ ihre Leserinnen und ermutigte zur Rache, zur Notlüge, zum Seitensprung. Denn: „Immer nur tun, was erlaubt ist – wie langweilig!“ Auch in den Werbespots tauchen sie bereits auf: die Lügner (er sagt, er sei auf dem Heimweg, sitzt aber im Bierlokal) und Betrüger (zwei fremdgehende Partner verdecken mit einem Pflaster die Kratzwunde vom Liebesspiel beim Seitensprung). Eigentlich nette Geschichten, vor allem mit so unverschämt sympathischen Menschen. Man lächelt dazu. Sind doch die Folgen dieser permanenten Innenweltverschmutzung, die die Seele allmählich zumülltund verklebt, nicht unmittelbar spürbar. Freilich gibt es nicht von ungefähr dieses zunehmende Bedürfnis nach Frische, Reinheit und Ursprünglichkeit - wenn dieses jedoch wieder nur auf der Produktebene gestillt wird („Düfte, die ihr Leben verändern“ - Airwick) gibt es aus dem Teufelskreis kein Entrinnen.

So kann man getrost weiter mit „unseren Botschaften“ kokettieren, sie ad absurdum führen: „Die Ersten werden die Ersten sein“ (Ford), „Die Stärke sei mit Dir“ (Fisherman’s friends)... Eine steirische Weinkönigin schließlich bewirbt den neuen Traminer mit: „...und führe er uns in Versuchung...“.

Freilich funktioniert dies nur vor dem Hintergrund eines biblischen Restwissens. Der Kabarettist Gerhard Bronner meint, dass Parodien heute meist keinen Witz mehr hätten, da viele Menschen entweder das Original (z.B. eine Oper) nicht mehr erkennen oder es ihnen heilig ist („Über den Elvis macht man keinen blöden Witze“). Christliche Inhalte kennt man bruchstückartig noch, aber sie verkommen nicht selten zum Gag. Und die Konkurrenz läßt uns mitunter alt aussehen: Auf einem Transparent, das eine Wiener Kirche „zierte“ und im Laufe der Jahre völlig verschmutzte, stand zu lesen: „Es gibt einen, der dich liebt – Jesus Christus“. Voriges Jahr wurde in unmittelbarer Nähe ein riesiges, blütenweißes Transparent ausgespannt: „Es gibt noch einen, der dich liebt – T-Mobile“. Können wir uns dagegen wehren? Als Konsumenten sehr wohl. Zugleich sollten wir die Situation zum Anlaß nehmen, unseren eigenen Umgang mit der Botschaft Jesu nach innen wie nach außen hin neu zu überdenken.

Erschienen im Sonntagsblatt, Juni 2004

Zur zunehmenden Sakralisierung des Alltags

„Wir sind ein Genusstempel, keine Kirche“, betonte kürzlich der Chef eines Restaurants im Zuge der Rauchverbotsdebatte.

Interessant. Nicht zuletzt, weil hier einmal mehr zum Ausdruck kommt, wie sehr heute banale Dinge des Alltags (hier das Essen in einem Gasthaus) überhöht und mit ungeheurer Bedeutung aufgeladen werden. Dieser Trend spiegelt sich in der gesamten Konsumwelt wider: „Die Gestaltung von Kaufhäusern entspricht dem Prinzip von grossen Wallfahrtskirchen mit kleinen, eingebauten Verkaufsständen“, ist die Grazer Kunsthistorikerin Wiltraud Resch überzeugt. Und diese zunehmende Sakralisierung zeigt sich nicht nur in der Monumentalität von Bauten, die früher den Kirchen vorbehalten war. Auch neue Auslagenkonzepte kommen zum Tragen: Die Kosmetikbranche etwa spielt fast nur mit liturgischen Farben und setzt bevorzugt das Kardinalsrot ein. In Verbindung mit dem vielen Glas der Fassaden und Inneneinrichtungen soll dies Kostbarkeit ausdrücken. Doch damit nicht genug: Ein banaler Schuh wird in einer Glasvitrine präsentiert wie in einer Monstranz, eine einzelne Handtasche aufbewahrt wie in einem Tabernakel. Auch die Portale zu den Einkaufstempeln und – paradiesen werden immer ausladender. Die Türen öffnen sich meist automatisch, d.h. die Schwelle, die bei den Kirchen das Profane vom Heiligen trennt, fällt hier meist weg. Besonders exklusive und teure Geschäfte setzen diese Schwelle jedoch bewusst wieder ein, stellt Christian Mikunda in seinem Buch „Der verbotene Ort oder Die inszenierte Verführung““ fest. Und er vergleicht die Glasvitrinen mit Schmuckstücken beim Juwelier nicht zufällig mit den Reliquienschreinen früherer Jahrhunderte.

Da sich der heftig umworbene Kunde den unzähligen Werbebotschaften, die auf ihn einprasseln, immer mehr verschließt, versucht die Werbung verstärkt, „die Ebene des Religiösen zu erreichen und gewisse Empfindungen zum Schwingen zu bringen“, so Wiltraud Resch. Verführerische Slogans versprechen mit dem Kauf eines Produkts u.a. Wohlbefinden und eine Erhöhung der Persönlichkeit. Oder wie es William Feather formulierte: „Hinter der Werbung steht vielfach die Überlegung, dass jeder Mensch eigentlich zwei sind: einer, der er ist, und einer der er sein will“.

Was früher dem Sakralen vorbehalten war: den Menschen mehr Selbstbewusstsein und Würde zu geben, das Schöne, die Ästhetik, ein Hauch von Luxus und Besonderheit, Exklusivität und Abgeschlossenheit, die Musik, die besonderen Gerüche, – all das übernimmt die Werbung in vollen Zügen. Viele Bereiche setzen auf sakrale, aber auch auf magische Momente: Betrachten Sie nur einmal bewusst die beliebte „Millionenshow“: Armin Assingers Erscheinen in gleißendem Licht, das Symbol der Sendung selbst, die Studiogestaltung, das himmlisch glänzende Blau-Silber, das aufleuchtende Morgenrot, der erhöht thronende Moderator, die grellen Lichtblitze...

Während nun das Profane immer sakraler wird, wird das Sakrale zusehends profaniert, stellen Kultursoziologen fest. (Das Wort profan kommt vom lateinischen „profanus“ und bedeutete ursprünglich nicht geheiligt, nicht eingeweiht, „vor dem heiligen Bezirk liegend“). Auch der Theologe Thomas Meurer von der Universität Münster ist besorgt: „Viele Kirchen in Europa – vor allem in den Großstädten – geraten heute in Gefahr, nur noch ihre sakrale Würde zu behalten, ihre sakrale Wirkung aber mehr und mehr zu verlieren. Denn das Bewusstsein für sakrale Räume schwindet umso mehr, je massiver der gesamte Alltag zum sakralen Bereich erklärt wird. Wenn aber alles sakral ist, dann ist letztlich nichts mehr sakral.“ Hinzu kommt - so Resch – dass in den Kirchen seit den 60er Jahren, die Mehrzweckhallen ohne Turm mit sich brachten, bisweilen eine gegenteilige Philosophie vorherrscht: Es soll hier alltäglich sein, der Mensch muss im Alltag angesprochen sein. Hier gälte es, das Einzigartige eines Gotteshauses wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken, denn „wir haben das Sakrale des Kirchenraums heute nötiger denn je.“

Erschienen im Sonntagsblatt, April 2004

Durch die Blume gesagt - zur Symbolik der Pflanzen

DURCH DIE BLUME GESAGT - zur Symbolik der Pflanzen

„Laßt Blumen sprechen!“ hört man oft. „Ja, aber wie?“, fragt man sich. „Rote Rosen bedeuten Liebe, ...“ selbst die Meisterfloristin, die ich um Rat frage, gerät ins Stocken. „Leider“, stellt sie bedauernd fest, „so richtig kennt sich heute niemand mehr aus“. Man sei, was die Blumensprache betrifft, vorsichtig geworden, gesteht mir die Blumenverkäuferin im nächsten Geschäft. Denn es gäbe oft Verständigungsprobleme. Vor kurzem erst wies eine Kundin den ihr angebotenen Efeu, der bei Hochzeiten als Symbol der Treue immer noch sehr beliebt ist, brüsk zurück: „Efeu ist tot und gehört auf den Friedhof!“

Schade, dass die Kommunikation via Blüten (s.u.) großteils in Vergessenheit geraten ist. Die Pflanzensymbolik spielte immerhin auch in der christlichen Kunst eine bedeutende Rolle. Viele Blumen und Heilkräuter (Ringelblume, Arnika, Gänseblümchen) wurden etwa mit Maria in Verbindung gebracht: allen voran die Rose (Königin der Blumen) und die weiße Lilie (Reinheit). Die rote Nelke mit ihren Blättern in Nagelform verwies wie die rasch welkende Anemone auf die Passion Christi. Das Alpenveilchen wiederum symbolisierte mit seiner inneren Rotfärbung das schmerzerfüllte, blutende Herz Marias. Und die Narzisse galt im Mittelalter als Paradiesblume, aber auch als Zeichen für die Auferstehung. Vieles gäbe es noch anzuführen - vielleicht ist der herannahende Frühling ja ein Ansporn, sich zu vergewissern, was einem da so blüht...


VERBLÜMT UND UNVERBLÜMT - Geheime Botschaften des Herzens

Im 19. Jahrhundert konnten sich Liebende nicht so ungezwungen treffen wie heute. Aber man verstand es, diskret beredte Blumensträuße zu übermitteln. Zur Entzifferung der Botschaften dienten kleine Wörterbücher. Auf Fragen wie „Darf ich heute zu Dir kommen?“ (kleine Rosenblüte), konnte man mit Majoran oder einem Rosenblatt (Ja!) oder mit einem Rosendorn bzw. -stengel (Nein!) antworten. Man schickte Liebesbeteuerungen (Rosmarin:Treue Liebe bis an das Grab, Gänseblümchen: Von Herzen liebe ich dich!), Bitten (Lavendel: Entscheide über mein Glück, Flieder: Laß mich nicht warten) und Grüsse (Löwenzahn: Wünsch‘ guten Morgen!). Es hagelte mitunter aber auch Vorwürfe (Königskerze: Weshalb ärgerst du mich?; Lungenkraut: Du warst nicht da!; Narzisse: Warum so grausam?). Und liebevoller Spott (Kümmel: Wie schön im Zorn!) konnte schon einmal Zurückweisung provozieren (Eichenlaub: Ich bleibe ledig). Um im Winter nicht „sprachlos“ zu sein, arrangierte man Papierblumen. Da nun die Blumenwörterbücher keine ‚Einheitsübersetzung‘ boten, waren Mißverständnisse nicht immer auszuschliessen. Da blieb manchem nur noch der Griff zum Kürbis (Du verstehst mich nicht!).

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2004

„Wo die Liebe sich freut, wird ein Fest gefeiert.“

Wenn zwei Menschen sich ineinander verlieben, die Liebe nicht verfliegt, sondern bleibt und sich vertieft, dann können sie ihr Leben darauf bauen. Die Liebe kann man nicht machen, nicht erzwingen. Liebe ist Zuwendung, nicht Besitzergreifen. Sie ist gnadenhaftes, unverdientes und auch uneigennütziges Geschenk (vgl. 1 Kor 13). In dieser Liebe leuchtet Gottes Liebe und Nähe auf. Das alttestamentliche Hohelied spricht vom Sich-Verbinden und Verlieren, vom Suchen und Finden, und von der Freude, die Mann und Frau aneinander haben. Schon früh wurde in diesen Liebesgedichten auch ein Bild der Liebe Gottes zu seinem Volk gesehen. Das Hohelied zeigt uns, daß Liebe nicht sprachlos bleibt, sondern sich (auch in einer Sinnlichkeit) ausdrücken will. Sie sucht ihre Wege im Alltag und in besonderen Zeiten. Wenn zwei Menschen „sich finden“, ist darin nicht nur Gott am Werk, der für den Menschen das Gute will, sondern gibt Gott den Menschen den Auftrag, für diese Liebe zu sorgen, ihr Raum und Zeit zu geben, die sie braucht: auch Kraft, Treue und Geduld. Sie ist Grosses und Kleines, Schweres und Hohes, Außergewöhnliches und Alltägliches. Diese Liebe will nicht Schein, sondern Wirklichkeit. Teil dieser Wirklichkeit kann auch das Scheitern der Liebe sein: trotz allem Bemühen über längere Zeit und auch die Inanspruchnahme von Hilfe durch Dritte. „Wo Liebe sich freut, da wird ein Fest.“ Der Dank für die Liebe und für den geliebten Menschen, der mich spüren lässt, wie angenommen (von Gott) ich bin, die Bitte um ein redliches Bemühen und ein gutes Gelingen werden so zu wichtigen Wegbegleitern in der (ehelichen) Partnerschaft.

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2004

Erbitterter Kampf in süßer Mission

Ein Blick in die Geschichte der Schokolade

In der dunklen Jahreszeit steigt der Verbrauch einer Köstlichkeit, die gegen Stimmungstiefs hilft: die Schokolade. Indem sie die Produktion des Glücksbringers Serotonin im Gehirn anregt, löst sie Gefühle aus, die einer Verliebtheit ähneln. (Kein Wunder, dass französische Doktoren im 18. Jahrhundert Schokolade als Heilmittel u.a. gegen gebrochene Herzen verordneten.)

Christoph Kolumbus verspürte davon allerdings noch wenig, als er 1502 vor der Küste von Honduras die Kakaobohne entdeckte. Denn der heilige Trank „Xocoatl“, den ihm die Azteken reichten, schmeckte ihm nicht so besonders, enthielt er neben Kakao und Mais doch nur ein paar Chilischoten und etwas Anis. Aber er nahm einige dieser „seltsamen Mandeln“ als Kuriosum mit nach Hause. Vom spanischen Hof aus trat die Trinkschokolade – verfeinert mit altweltlichen Gewürzen wie Zimt und Moschus - Anfang des 17. Jahrhunderts ihren Siegeszug in Europa an. Vielerorts eröffnete man Schokoladestuben und der Kakao wurde zum beliebtesten Modegetränk. Auch in den Klöstern genoss man ihn: mit viel Vanille, Zucker oder Sahne und nach dem Aderlass auch mit einem Schuss Branntwein. Der berühmte französische Gourmet Brillat-Savarin gestand, dass er das Geheimnis für sein bestes Kakaorezept einer Äbtissin verdanke...

Schokolade zur Fastenzeit?

Allerdings entbrannte schon bald ein heftiger Streit über die Frage, ob Schokolade auch während der Fastenzeit erlaubt sei. Die Jesuiten erklärten sie zum Getränk und gestatteten sie; die Dominikaner hingegen erteilten ein Verbot: Ihrer Meinung nach war die Schokolade viel zu nahrhaft, um nicht als Speise zu gelten. Wiederholt wurden Päpste mit diesem Streit belangt: Sie entschieden alle stets zugunsten der Schokolade.

(Ärger gab es übrigens auch in Mittelamerika, wo sich die eingewanderten Spanierinnen ihren heißgeliebten Kakao sogar in der Kirche kredenzen ließen. Ein Verbot durch den Bischof musste allerdings zurückgenommen werden, da die selbstbewussten Damen einfach nicht mehr ins Gotteshaus kamen... )

200 Jahre lang blieben Kakao und Schokolade ein teurer Luxusartikel für den Adel und die Elite. Erst im 19. Jahrhundert, als neue Verfahren eine billigere Produktion ermöglichten, gelangte auch die breite Bevölkerung in diesen Genuss. 1847 kam in England die erste Essschokolade auf den Markt, 1875 wurde in der Schweiz die Milchschokolade erfunden.

Heute stehen wir einer unüberschaubaren Fülle an Sorten gegenüber. Bio- und Sojaprodukte machen deutlich, dass Schokolade auch ein Stück Weltanschauung sein kann. Fair Trade-Schokoladen schliesslich garantieren mit ihrem gerechten Preis für den Rohkakao nicht nur ein Glücksgefühl im eigenen Körper, sondern auch bei den Menschen, die hart für die Kakaogewinnung arbeiten müssen.

Erschienen im Sonntagsblatt, Dezember 2003

SPACE SHUTTLE NETREBKO

Man katapulierte sie mit höchstem Erwartungsdruck in den Salzburger Festspiel-Himmel, beschädigte vorab durch gezielte Häme ein wenig ihren persönlichen Schutzschild und wartete gespannt, ob sie mit dem Wiedereintritt in die Atmosphäre der „Normalsterblichen“ nicht doch verglüht und vorzeitig verheizt wird. Aber sie ist bravourös gelandet: Anna Netrebko. Der Starrummel um die neue „Diva“ („die Göttliche“) ruft längst Kritiker auf den Plan und so mancher wünscht sich wohl, dass die junge Russin nicht nur für einen Werbespot baden geht. Warum diese Miss-Gunst? Ist jemand, der schön und hochbegabt ist, im Rampenlicht steht und womöglich auch noch wohlhabend wird, zuviel des Erträglichen? Ein Blick in die Lebenspartitur der Sängerin zeigt nicht nur Sonnenseiten: Selbstzweifel, Einsamkeit und Heimweh begleiteten sie auf dem Weg nach oben.

„Liebling des Publikums! Ist einer darum zu beneiden, wenn er es geworden ist?“, fragte schon Theodor Herzl 1901: „Es gehört enorm viel Glück dazu, es zu werden; noch viel, abenteuerlich viel mehr, es zu bleiben.“ Im feudalen Wien der Jahrhundertwende, im dem der Neid ebenso schnell wuchs, wie Ringstraßenbauten und Prachtpalais aus dem Boden schossen, gönnte man auch dem Künstler außer dem Applaus, der ohnedies sein Brot ist, möglichst wenig: „Was – den Ruhm, und dazu noch getrüffelte Kapaunen [Masthähne] und eine Equipage [elegante Kutsche] und ein vierstöckiges Haus? Das wäre zuviel für ein Talent.“ Mehr noch kam Herzl zu einem Schluss, der bis heute nicht an Gültigkeit verloren hat: „Die Unbekannten haben es ganz gern, wenn es den Bekannten nicht allzu gut geht.“

Erschienen im Sonntagsblatt, August 2005

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