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Sonntagsblatt

Sonntag, 6. Januar 2008

Weise Seiten?

Teresa hätte sich wohl gefreut: Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist die Region Katalonien Ehrengast. Ihre Heimatstadt Avila liegt zwar im benachbarten Kastilien, sie liebte jedoch das Lesen, wie wir aus ihrer Autobiographie „Libro de la vida“ („Das Buch meines Lebens“) wissen.

Denn Teresa, eine der größten Mystikerinnen, tat sich beim Beten schwer – zu gern ließ sie sich ablenken und „lauschte oft mehr dem Schlagen der Uhr“, um das Ende der Gebetszeit abschätzen zu können. Ein geistliches Buch half ihr schließlich wie ein Schutzschild, ihr Inneres abzuschirmen und sich ganz auf Gott zu konzentrieren; lange wagte sie es nicht, „ohne ein gutes Buch mit dem Beten zu beginnen“.

In ihrer Jugendzeit freilich hatte Teresa am liebsten romantische Ritterromane verschlungen. Weil diese jedoch ihre Eitelkeit nährten, richteten sie eher Schaden an, was sie im Rückblick bedauerte.

Unter den Texten, die wir tagtäglich freiwillig und unfreiwillig lesen, sind wahrscheinlich auch welche, die nicht nur zu unserem Wohl beitragen: Um unsere Gunst rittern viele, die uns Romane von einem besseren Leben erzählen und mit hochtrabenden Versprechungen falsche Sehnsüchte wecken. Sie ziehen uns hinunter, während beim Lesen eines guten Buches „die Seele emporwächst“, so Voltaire.

Deshalb ist es gut, sich mit geistreichen Büchern zu umgeben: als Vor-Rat, um Rat zur Hand zu haben, noch bevor wir ihn brauchen. Denn so wie Klosterbibliotheken früher als „Apotheken der Seele“ galten, enthalten gute Bücher „Vitamine fürs Leben“ und „stärken die Abwehrkräfte“. Buchstäblich seitenweise.

Erschienen im Sonntagsblatt, Oktober 2007

Zum Annatag: Ein Namensfest mit großer Tradition

„Endlich einmal eine Hl. Anna, die nicht verhärmt ausschaut“, freute sich kürzlich Anna Sallinger, Exerzitienreferentin unserer Diözese, als sie in der Kirche von Hirschegg das schöne Gemälde der Heiligen entdeckte.

Freilich bleibt Anna auch bei dieser sogenannten „selbdritt“-Darstellung mit ihrer Tochter Maria und ihrem Enkel Jesu im Hintergrund. Sie gibt dem Heiligen Raum und sorgt – wie viele Großmütter – dafür, dass der Glaube auch an die nächste Generation weitergegeben wird. Die heilige Anna zählt zu den volkstümlichsten Heiligen der Kirche und wurde vielfach zur Patronin: etwa für Bruderschaften und Bergleute, für den Krankendienst und Spitäler, für Kinder- und Altenheime.

Annenverehrung
Die früheste Darstellung der Hl. Anna aus der Zeit um 400 n. Chr. findet sich in der Kirche S. Maria Maggiore in Rom. Bereits um 550 wurde ihr zu Ehren in Konstantinopel eine Kirche erbaut, viele weitere sind gefolgt, auch bei uns in der Steiermark: „Groß war die Freude der Bewohner“, heißt es, als im April 1717 in St. Anna am Aigen anstelle der von den Türken zerstörten Anna-Kapelle die neue und prächtige Annakirche von Josef I. Dominikus, Fürstbischof von Seckau, eingeweiht wurde: „Die guten Leute zerfloßen in Tränen, als sie zum ersten Male einen Bischof in ihrer Mitte erscheinen, den Annaberg besteigen und nach der Einweihung des neuen Gotteshauses das heilige Messopfer in demselben darbringen sahen“, liest man in einer Gedenkschrift. Die Annenverehrung war von den Kapuzinern, Karmeliten, Benediktinern und Augustiner Chorherren sehr gefördert worden und erreichte im 15. und 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Schließlich wurde ihr Gedenktag als Fest für die ganze Kirche vorgeschrieben.

Annenfeste
Das ließen sich die Menschen wohl nicht zweimal sagen: Die Annenfeste wurden bald zu den größten Volksfesten und von zigtausenden Menschen, darunter wohl vielen Annas, besucht: Denn der Name Anna (hebräisch Hanna, „die Begnadete“) war schon seit dem 12. Jahrhundert ein häufiger Taufname, im einfachen Volk wie auch in königlichen und adeligen Familien, und zählte neben Maria über Jahrhunderte zu den beliebtesten weiblichen Vornamen.

In Wien gab es am 26. Juli, der bis Ende des 18. Jahrhunderts offizieller Feiertag war, sensationelle Feuerwerke, Schönheitskonkurrenzen für Mädchen und Frauen, Theateraufführungen und Bälle. Getanzt wurde im so genannten „Annentempel“ zu eigens komponierten Werken von Johann Strauß Vater, Joseph Lanner und Johann Strauß Sohn, z.B. zur berühmten „Annen-Polka“. Sie nahmen ebenso auf das Annenfest Bezug wie schon Mozart: seine Mutter hieß ja Anna Maria und seine Schwester „Nannerl“ Maria Anna. Als Geschenk erfreuten sich die „Annenfächer“ großer Beliebtheit und der „Annenstrauß“, der aus roten Rosen, roten Nelken und Schleierblumen bestand.

Wallfahrtsorte
Die erste Wallfahrtskapelle zur hl. Anna in Österreich ist das niederösterreichische Annaberg an der via sacra, der Heiligen Straße nach Mariazell. In der Steiermark kennen wir vier Anna-Wallfahrtsorte: Feldbach, Kapfenberg und Passail sowie die Filialkirche Jobst bei Blumau. Annakirchen und -kapellen gibt es vielerorts, bei uns und in aller Welt , sei es in Deutschland und der Schweiz, in England, Italien, Frankreich oder sogar in Kanada, in Brasilien und auf der Insel Ceylon im Indischen Ozean.

Annakirtag
Vielleicht heißen auch Sie Anna, Anneliese, Anita, Anke, Nadja oder Annemarie - dann können Sie entsprechend feiern: rund um den Annatag gibt es heute noch Annakirtage mit
Messen, Prozessionen und Kirtagsstandeln: „Sankt Anna unsre Helferin, und unsere Beschützerin, wir rufen deine Fürsprach an, dein Bitt bei Gott uns helfen kann“ beginnt eines der bekannten Sankt-Annalieder.

„Ich mag meine Namenspatronin total gern“, so nochmals Anna Sallinger: „Sie, die erst so spät schwanger wurde, ist für mich ein Hoffnungszeichen und ein schönes Bild dafür, dass es nie zu spät ist, in meinem Leben für andere fruchtbar zu werden“.

Erschienen im Sonntagsblatt, Juli 2007

Auf einer Wellenlänge

„Allein kann ich nicht trainieren“, erklärte Markus Rogan, Österreichs erfolgreichster Schwimmer, kürzlich in der Katholischen Hochschulgemeinde Graz: „Ich brauche immer jemanden, der neben mir ist, der mitschwimmt – oder einen Trainer, der am Beckenrand steht und mir sagt, was gut und was schlecht ist“. Ansonsten wären die Monotonie des Trainings und die „Einsamkeit im Wasser“ einfach zu groß.

Ungewöhnliche Worte für den als sehr selbstbewusst geltenden Liebling der Medien: im Interview mit Michael Fleischhacker zeigte sich der junge Sportler, der am 4. Mai 25 wird, als nachdenklich Suchender, dem Existenz- und Zukunftsängste, Angst vor dem Versagen und der Zeit danach, ebenso wenig fremd sind wie Sackgassen, die „leider kein Verkehrszeichen haben, die einen rechtzeitig warnen“. Der Gewinner von Silber bei Olympischen Spielen und Absolvent der Stanford University in Kalifornien, weiß auch, dass er seine Entscheidungen nicht rational trifft, sondern erst durch das „Dazuschalten der Gefühle“ erkennt, was für ihn wirklich das Beste ist.

„Keiner ist eine Insel, in sich selbst vollständig“, schrieb der englische Dichter John Donne. Es berührt, wenn Menschen, die einsame Spitze sind, zugeben, dass sie andere brauchen und allein, aus eigener Kraft, nicht zu ihren Höchstleistungen fähig wären.

Wo auch immer wir selbst gerade im Strom des Lebens unterwegs sind: es ist gut, sich umzuschauen, wer neben uns auftaucht oder ins Schwimmen gerät, wer Oberwasser gewinnt oder zu ertrinken droht. „Liebt einander, helft einander“: Erkennen, dass man anderer bedarf, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.

Erschienen im Sonntagsblatt, März 2007

Auch du bist Mozart

Im Rahmen der Festivitäten rund um den Geburtstag von Wolfgang Amadé gibt es unter anderen ein Projekt „Auch du bist Mozart“, das jedermann einlädt, sich und sein Können öffentlich zur Schau zu stellen. Eine hübsche Idee, wenn es darum geht, Hemmschwellen abzubauen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es solche heute überhaupt noch gibt.

Oder ob – während wir eifrig niederschwelligste Angebote kreieren – den Menschen nicht zunehmend das wirklich Große, Erhabene fehlt. Einerseits wird ihnen vorgegaukelt, jedem sei alles möglich, so er nur wolle (was eine Quelle für unendlichen Frust sein kann). Andererseits werden herausragende Menschen gerne postwendend wie posthum demontiert, indem man selbst ihre intimsten Seelenwinkel ausleuchtet, nur um nach dem medialen Fegefeuer beruhigt festzustellen, dass auch sie nur Menschen wie du und ich sind, mit Fehlern und Schwächen.

Manchen Artikelschreibern zufolge war der große Mozart nur ein schmächtiger, blatternvernarbter, zum Wunderkind dressierter Sonderling, dem Religion nicht viel bedeutete und der Kirchenmusik großteils nur routinemäßig auf Bestellung schrieb.

Demgegenüber steht die Einschätzung Mozarts durch große Persönlichkeiten, sei sie von Goethe („unerklärliches Wunder“), Leonard Bernstein („göttlich, ein himmlisches Genie“), Albert Einstein („Seine Musik ist so rein und schön, dass ich sie als die innere Schönheit des Universums ansehe“), oder Nikolaus Harnoncourt („Mozart ist von einem anderen Stern, ein Griffel in der Hand Gottes“). Auch Joseph Haydn verbeugte sich ehrfürchtig vor seinem „unnachahmlichen“ Kollegen.

Begnadete Menschen bereichern die Welt und sind ein Angebot Gottes, aus dem Profanen heraus-, und in das Göttliche hineinzuragen. Es bedarf dazu aber einer etwas altertümlich anmutenden Haltung: des Sich-Verneigen-Könnens.

Erschienen im Sonntagsblatt, Februar 2006

ALLERSEELEN: Zur „Missa solemnis“ am Allerseelentag im Grazer Dom

„Am Grab der meisten Menschen trauert, tief verschleiert, ihr ungelebtes Leben“, hat einmal jemand bemerkt. Wenn wir zu Allerseelen auf den Friedhof gehen, bleibt vielleicht auch ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken, wieviel wir von uns selbst schon begraben haben an Hoffnungen, Träumen und Idealen. Sind wir (noch) so, wie Gott uns gedacht hat, oder wenden wir enorm viel Kraft auf, um dem zu entsprechen, was andere von uns denken (sollen).

„Es ist verdammt schwer, einem Image gerecht zu werden“, sagte einer, der es wissen musste. Heute noch, 26 Jahre nach seinem Tod pilgern jährlich an die 600.000 Menschen zu seiner Gedenkstätte in Memphis - ungeachtet dessen, dass dort ein Mensch begraben liegt, der von sich sagte „Ich habe es satt, Elvis Presley zu sein“ und an dieser unüberwindbaren Diskrepanz zwischen dem, der er sein sollte und dem, der er sein wollte viel zu jung zerbrach.

Auch Ludwig van Beethoven verzweifelte oft an seinem Leben, das ihm das zutiefst erhoffte, persönliche Liebesglück versagte. Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, zog Beethoven einen Schlussstrich, indem er den „leiblichen, irdischen Beethoven“ zu Grabe trug und nur noch für die Kunst lebte, schreibt ein Biograph. Dass ihn ihn dann aber das Gehör zunehmend im Stich ließ, war für Beethoven wie ein weiterer Keulenschlag. Er trug sich mit Selbstmordgedanken, war aber unglaublich froh, dass er diese letztlich überwand. „Die Frage nach den letzten Dingen hat Beethoven sein Leben lang gewälzt“, ist Domkapellmeister Josef M. Doeller überzeugt: „Für Beethoven war das Taubsein ja schon ein bisschen Totsein. Er nahm aber dieses bittere Leben dennoch an und beantwortete es mit seiner Urgewalt: Er schuf in diesen letzten Jahren sein größtes und schönstes Werk: die Missa solemnis.“ Dieser Werk wird am Allerseelentag im Grazer Dom zu hören sein. Aus ihm spricht die Zuversicht, die wir Menschen so sehr brauchen. Unser Totengedenken ist nicht ohne Auferstehungshoffnung. Im frühen Mittelalter wurden die jährlichen Gedenktage für die Toten auch meist nach der Osterzeit angesetzt. Erst als Abt Odilo von Cluny 998 für seine Klöster den 2. November einführte, verbreitete sich dieser neue Allerseelentag rasch im ganzen Abendland. Nach altem christlichen Volksglauben durften die Armen Seelen an diesem Tag aus dem Fegfeuer zur Erde aufsteigen und für kurze Zeit von ihren Qualen ausruhen. Aus dieser Vorstellung heraus entstanden viele abergläubische Bräuche: u.a. aß man am Abend von Allerseelen Hirsebrei und meinte, mit jedem Korn eine Seele aus dem Fegfeuer befreien zu können.

Erschienen im Sonntagsblatt, Allerseelen 2003

2 mal 3 macht 4?

„Zwei mal drei macht vier widdewiddewitt und drei macht neune,“ dieses Lied von Pippi Langstrumpf haben viele von uns noch im Ohr.

Am 28. März 1944 setzten die "Geburtswehen" für die beliebte Kinderbuchfigur ein: Heftiger Schneefall und eine eisglatte Strasse sorgten dafür, dass Astrid Lindgren, Hausfrau und Mutter, mit einem verletzten Fuß zwei Wochen lang ans Bett gefesselt war. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie jene Geschichten aufzuschreiben, die sie ihrer kleinen Tochter immer erzählt hatte.

Von Schweden aus, wo heuer der 100. Geburtstag von Astrid Lindgren (1907-2002) groß gefeiert wird, wurde Pippi Långstrump weltberühmt. Ihre Rechenkünste ließen zwar immer zu wünschen übrig, sie verwiesen aber bewusst auf eine andere Wirklichkeit außerhalb der gängigen Normen: „Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt“.

Bei der Erstellung unseres Sündenregisters kann es sein, dass wir ähnlich rechnen: dass wir in Bereichen, in denen wir Schuld auf uns laden, „fünf gerade sein lassen“ und unbekümmert sind, uns aber mit Schuldgefühlen quälen, wo wir es gar nicht in der Hand gehabt hätten, den Dingen einen anderen Lauf zu geben.

Wie wir vor Gott dastehen, können wir selbst nicht ermessen. Gott rechnet aber immer mit uns, auch im ursprünglichen Sinn des Wortes, das auf althochdeutsch „rehhanon“: „ordnen und lenken“ bedeutete. Wo wir und unsere Rechensysteme und Maßstäbe versagen, zählt letztlich nur seine unendliche Gnade und Güte.

Fallen und Darniederliegen kann auch – wie bei Astrid Lindgren – einen neuen Blickwinkel eröffnen, der einen Weg in eine andere Lebensdimension erkennen lässt.

Erschienen im Sonntagsblatt, März 2007

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