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GLOCKENGUSS UND MYSTISCHES BIM-BAM

AUS EINEM GUSS
Im „Lebensjahr 2008“ erhielt die Stadtpfarrkirche Graz als Ersatz für eine schadhafte Glocke die neue „Lebensglocke“.

Innsbruck, Freitag, 15 Uhr, Todesstunde Jesu - von nah ertönen die Glocken der Stiftskirche Wilten … Kaum hat Bischofsvikar Stadtpfarrpropst Dr. Heinrich Schnuderl das Segensgebet zu Ende gesprochen, rufen die Glockengießer ein herzhaftes „In Gottes Namen!“ aus und beginnen ebenso kraftvoll wie behutsam die glühende, 1150 Grad Celsius heiße Bronze in jenen tonnenartigen Behälter zu gießen, der die Form für die neue, 745 kg schwere „Lebensglocke“ der Grazer Stadtpfarrkirche umschließt; ein erhabener, fast mystischer Moment der konzentrierten Stille, begleitet nur vom Zischen des feurigen Metalls und vom Rauschen des riesigen Schmelzofens im Hintergrund. Und ein nahezu archaischer anmutender Anblick: Denn selbst wenn die Tiroler Arbeiter als Hitzeschutz Schurze aus Teflon tragen (dasselbe Material, das sich in unseren Bratpfannen befindet), und der gewünschte Glockenton schon im voraus von Computern auf das Sechzehntel des Halbtons(!) genau berechnet wurde: das Verfahren ist immer noch dasselbe wie anno 1599, als die Familie Grassmayr mit dem Glockengießen begann:

Schon damals wurde aus Ziegel und Lehm der innerste „Glockenkern“ gebaut, dann mittels einer Schablone die zukünftige Glocke vorgeformt und mittels Wachs Filigranes wie Heiligenbilder und Inschriften aufgetragen (in unserem Fall Motive des Künstlers Josef Fürpaß.) Die dritte Schicht, der „Mantel“, entstand wiederum aus Lehm. Nach dem Trocknen wurde die „falsche Glocke“ in der Mitte entfernt und damit der Hohlraum für den Guss geschaffen. Anschließend grub man die Glockenform fest in die „Gussgrube“ ein, damit der Druck des heißen Metalls die Glockenform beim Gießen nicht zerstören konnte. Vier Tage später wurde die Glocke herausgeholt, von der Lehmform befreit, mit Hammer und Meißel entlang der Gussnähte vorsichtig ziseliert, gereinigt und mit Wasser und Sand geschliffen. Und zu allerletzt überprüfte man – es war der spannendste Moment - mit Stimmgabeln den Ton. Heute ist es ebenso.

Das Ritual des Glockengießens, ein Schauspiel, das nicht nur gefährlich aussieht, wiederholt sich an diesem Nachmittag noch mehrmals, immerhin gilt es elf Glocken für fünf Länder zu gießen − Schwerstarbeit für die Männer, auf die im Anschluss die traditionelle „Gussjause“ wartet. Alle übrigen, die Pate standen, werden mit einem „Guss-Schnapserl“ gestärkt, bevor sie die Heimreise antreten, voll Vorfreude auf den prachtvollen Klang. Und vom Seniorchef des Hauses noch mit dem Hinweis auf Friedrich Schillers berühmtes „Lied von der Glocke“ verabschiedet: „Nur ewig und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht, / Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit…“.

Am Nationalfeiertag, Sonntag dem 26. Oktober um 9.30 Uhr, wurde die neue Lebensglocke in der Grazer Stadtpfarrkirche geweiht, in der Nacht aufgezogen und am Montag erstmals erschallen: ein noch immer berührender, feierlicher Moment: „Dass sie in das Reich des Klanges / Steige, in die Himmelsluft! / Ziehet, ziehet, hebt! / Sie bewegt sich, schwebt! / Freude dieser Stadt bedeute, / Friede sei ihr erst Geläute.“


Mystisches „Bim-Bam“
Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt, dass Sie ein- und dieselben Glockenklang bei einer Hochzeit oder zu Weihnachten als feierlich und fröhlich empfinden, bei einem Begräbnis hingegen mahnend und traurig. Den Glockenfabrikanten ist dieses dieses „mystische Phänomen“ bekannt und sie können es auch erklären: Glocken sind Musikinstrumente, die in ihrer komplexen Struktur bis zu 50 Töne erklingen lassen. Jener markante Ton, der beim Anschlagen der Glocke erklingt, heißt in der Fachsprache „Schlagton“ oder „Nominalton“. Dieser Schlagton lässt sich jedoch weder mit einem physikalischen noch einem elektronischen Gerät messen: Er ergibt sich erst aus der Vermischung aller „echten Töne“, d.h. er existiert eigentlich gar nicht und stellt eine akustische Täuschung dar. Wenn wir nun Glocken läuten hören, hören wir – bei guten Bronzeglocken - je nach Stimmungslage aus diesem gesamten Klangspektrum bei feierlich-fröhlichen Anlässen die hellen Dur-Akkorde heraus, bei traurigen Anlässen und getrübter Gemütslage die dunklen Moll-Akkorde. Diese subjektive Wahrnehmung beider Stimmungen drückt der Kindermund mit seinem hell-dunklen „Bim-Bam“ gut aus. Und auch das slowenische Sprichwort hat recht, das besagt: „Jeder denkt, dass jede Glocke seine eigenen Gedanken widertönt.“

Gertraud Schaller-Pressler

Erschienen im Sonntagsblatt, 19.10.2008

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